23. Dezember 2019 Allgemein, Digitalisierung, Politik und Gesellschaft

Ralf´s Reader´s Corner: „Digitale Megatrends – Die Zukunft von Unternehmen“ (2019) von Dr. Marcus Disselkamp

Das neue Buch von Marcus Disselkamp liefert einen schönen und lehrreichen Überblick über zahlreiche Aspekte der digitalen Transformation. Ein Verdienst liegt darin, diesen Begriff sauber definiert und vom eher gebrächlichen Buzzword „Digitalisierung“ abgegrenzt zu haben. Digitale Transformation ist eben viel mehr als nur der Einsatz weiter entwickelter Technik. Vielmehr verändert sich in dieser Phase auch das gesamte Sozialgefüge der Gesellschaft und ganze Branchen werden untergehen, aber auch andere neue entstehen. Er fasst unter dem Begriff der digitalen Transformation diverse rein „digitale Megatrends“ zusammen. Diese grenzt er im Sinne des Zukunftsforschers John Naisbitts (Buch „Megatrends“, 1982) scharf ab von eher flüchtigen Trends in der Konsumwelt. Die Megatrends, so Disselkamp, „…beeinflussen grundsätzlich alle Bereiche unseres wirtschaftlichen, politischen, ökologischen, sozialen sowie privaten Lebens. Ihre Kräfte verändern ganze Gesellschaften und Wertesysteme.“

Das Besondere an der digitalen Transformation ist damit ihre Mächtigkeit: sie ist einerseits einer der dominierenden Megatrends (neben Gloablisierung, Urbanisierung, Individualisierung etc.).

Andererseits ist sie ein Gefäß für eine Vielzahl eigener Trends, die so stark sind, adss der Autor sie als eigenständige Megatrends klassifiziert.

Als ersten digitalen Megatrend benennt Disselkamp die Thematik „Toxische versus neuartige Geschäftsmodelle.“ Hier fokussiert er auf die Überlebensfähigkeit ganzer Geschäftsmodelle angesichts der digitalen Transformation. Diese, so Disselkamp, hinterfragt „… alle existierenden Geschäfts- aber auch Führungsmodelle.“ Hier geht es also um eine totale Disruption ganzer Wertschöpfungsketten. In der Konsequenz sieht der Autor viele Geschäftsmodelle als überholt an; derartige Auslaufmodelle nennt er „toxisch.“

Auf diese rote Liste der vom Aussterben bedrohten Geschäftsmodelle setzt er „…viele der heutigen Bank- und Handelsgeschäfte.“

Wenig ermutigend für das Bankmanagement auf den ersten Blick. Jedoch gibt es sehr wohl Hoffnung – Innovationen können neue Mehrwerte aus Kundensicht schaffen, für die damit auch Zahlungsbereitschaft entsteht.

Die folgende Erläuterung des Begriffes „Geschäftsmodell“ ist ausgesprochen hilfreich und in ihrer Klarheit gut merkbar. Für Disselkamp besteht ein Geschäftsmodell aus drei Säulen:

  • der Leistungserstellung,
    (Prozesse/Strukturen/Ressourcen)
  • dem Nutzenversprechen
    (Anwendungsfall/Problemlösung/Kundennutzen)
  • dem Ertragsmodell
    (Ertragsmechanik/Kostenstruktur/Deckungsbeitrag)

Wichtig: jede der drei Säulen kann laut Disselkamp separat, also ceteris paribus, modifiziert werden, wodurch ein abgewandeltes Geschäftsmodell entsteht.

Der nächste digitale Megatrend, den der Autor betrachtet ist die Disintermediation, also die Auflösung vieler Intermediationsfunktionen im Markt. Für Intermediäre gilt: „Die Wertschöpfungsketten vieler Branchen und Wirtschaftszweige kennen üblicherweise Intermediäre als Bindeglieder zwischen Anbietern (Lieferanten, Dienstleistern, Produzenten) und Kunden (Käufer, Nutzer, Konsumenten).“

Die zerstörerische Kraft der Disintermediation, wird sehr anschaulich anhand diverser Beispiele erläutert: Intermediäre – z.B. der Buchhandel – sind besonders gefährdet, und mit ihnen die Arbeitsplätze.

Die digitale Vernetzung der Produzenten mit den Endkunden macht die Intermediäre in vielen Themen überflüssig. Deren bisherige Funktion, die Senkungen von Transaktionskosten, insbesondere in Form von Suchkosten für das Finden der Tauschpartner, wird nun durch digitale Vernetzung ersetzt.

Eine auf den ersten Blick für viele Branchen beängstigende Prognose.

Jedoch bleibt auch vieles bestehen: Arbeitsplätze, die dem Kunden nicht digitalisierbare Mehrwerte bieten, bleiben erhalten; neben all den neuen, die entstehen. Dennoch gilt für Arbeitskräfte wie für Unternehmen: wer sich nicht bewegt, sich nicht differenziert aus Kundensicht, hat verloren.


Im nächsten Abschnitt beschreibt Disselkamp anschaulich, wie der Effekt der Netzwerkökonomie den der Disintermediation weiter verstärkt. Den Begriff „Netzwerkökonomie“ definiert Disselkamp so: „Hierunter verstehen wir eine Vielzahl autonom und selbständig operierender Netzwerkpartner, die sich gegenseitig helfen, ihre jeweiligen Defizite auszugleichen, um gemeinsam Mehrwerte zu generieren.“

In der Konsequenz entstehen digitale Ökosysteme, die verstärkt branchenübergreifend arbeiten.


Sehr gelungen finde ich die sich aus der Netzwerkökonomie ergebende Herleitung der Wettbewerbsstrategien im digitalen Zeitalter. Ausgehend von Porter, werden die alten generischen Strategien überführt in den Kontext der digitalen Transformation.

Der Autor vertritt die Position, dass die digitale Transformation dazu führen wird, dass zunehmend mehr Unternehmen in der Lage sein werden, simultan Kosten- UND Nutzenführer zu sein. Das gelang bisher nur wenigen Unternehmen und dann auch nur temporär.


Besonders überlegenswert ist die Schlussfolgerung, dass die Kombination von Kosten- und Nutzenführerschaft jedoch nur im Rahmen eines neuen Geschäftsmodells möglich ist. Diese Aussage ist fundamental.

Disselkamp verweist ferner darauf, dass man mittlerweile den Begriff der Kostenführerschaft durch den der „operativen Exzellenz“ ersetzt hat und den der Nutzenführerschaft durch den der „Customer Experience.“


Als wirklich überlegene Wettbewerbsstrategie sieht er jedoch nur die dritte an – „Neues Geschäftsmodell“ als Kombination aus operativer Exzellenz und Customer Experience.

Das Schlusslicht der im Stile der von der BCG bekannten Vierfelder-Matrix dargestellten generischen neuen Wettbewerbsstartegien sieht er die vierte an, die er als „Sumpf“ bezeichnet – ein an deres Wort für Porters ursprüngliche Bezeichnung „stuck in the middle“. Im Sumpf ist ein Unternehmen weder operativ exzellent, noch generiert es eine gute Customer Experience. Es ist einfach nur mittelmäßig in allen wesentlichen Belangen – und damit todgeweiht. Hier stimmt Disselkamp mit Porter überein.

Insbesondere das Durchdenken des nächsten digitalen Megatrends – der „Serviceökonomie“ – hat mich weiter gebracht. Disselkamp definiert diese wie folgt: „Das Verständnis, dass nicht nur die reinen (Kern-) Produkte und Komponenten, sondern immer mehr die zusätzlichen Dienstleistungen um das eigentliche Produkt Mehrwerte und damit Gewinn-Chancen bieten, bilden die Grundlage der Serviceökonomie.

Faszinierend. Ich war immer ein Fan guter Serviceleistungen und sah und sehe Service nicht als zweitklassigen Vertrieb, sondern eben eine eigene Funktion auf Augenhöhe mit dem Vertrieb.

Und genau diese Sichtweise passt in den aktuellen Stand der Diskussion – sie passt zum Konzept der Serviceökonomie und zeigt die überragende Bedeutung guter Serviceleistungen auf.

Auch die weiteren Themenblöcke „Datenökonomie“, „Plattformökonomie“, „Disruptionen“, „Crossing Borders“, „Unbundling“ ( = Großunternehmen werden in separate Geschäftseinheiten aufgeteilt) und „Do it Yourself“ sind klar strukturiert und vermitteln einen guten Einstieg in den jeweiligen digitalen Zukunftstrend.


Diese klare Strukturierung hat den zusätzlichen Vorteil, dass das Buch als kleines Nachschlagewerk für tiefergehende Literatur zu den Einzeltrends genutzt werden kann.


Insgesamt ist das ein wirklich hilfreiches Buch, um in die digitalen Trends einzusteigen.

Fazit: 5 von 5 Sternen