„Bankenreport Deutschland 2030“ – von Oliver Wyman – ein Gespenst geht um in Deutschlands Bankenwelt
Vor einigen Monaten erschien der „Bankenreport 2030“ von Oliver Wyman:
http://www.oliverwyman.de/our-expertise/insights/2018/feb/Bankenreport-Deutschland-2030.html
Der Untertitel „Noch da! Wie man zu den 150 deutschen Banken gehört“, zeigt die Ergebnisse der Analyse sehr plastisch auf und deutet massiven Handlungsbedarf für die Banken an.
Normalerweise bin ich kein Freund derartiger „lauter“ Über- oder Unterschriften in Ausarbeitungen mit Anspruch.
Jedoch bewegt diese Studie die Branche und sie verdient, das sei schon jetzt gesagt, genaues Studium.
Aber der Reihe nach.
Im Management Summary vorneweg wird die Botschaft und Essenz der Ausarbeitung auf den Punkt gebracht:
- der deutsche Bankenmarkt sei auch für ausländische Anbieter interessant,
- die deutschen Banken mit ihren drei Säulen (Privatbanken/öffentlich-rechtliche/Genobanken) aber wiesen eine relativ geringere Profitabilität auf,
- der deutsche Bankensektor bewege sich auf einem „evolutionären Konsolidierungspfad“.
Diese bisher so beschriebene, eher gemächliche Entwicklung sehen die Autoren aber perspektivisch nicht mehr. Ursächlich für eine zunehmende Beschleunigung seien drei Themen:
- die Bildung einer vierten Säule aus ausländischen Banken und neuen Mitbewerbern,
- Modularisierung bei gleichzeitigem Kontrollverlust der Banken über die Kundenschnittstelle,
- das zunehmend harte Durchschlagen der Megatrends in die Geschäftsmodelle der Banken.
In der Konsequenz bedeutet dies ein (beschleunigtes) evolutorisches oder gar ein disruptives Geschäftsumfeld.
Und die Forderung ist: für beide Varianten brauchen Banken ein nachhaltiges Geschäftsmodell.
Die eigentliche Ausarbeitung startet dann mit der Aussage, die die Branche bewegt:
„Abhängig von der Veränderungsgeschwindigkeit rechnen wir [in den nächsten 10-15 Jahren, also etwa bis 2030] mit einer Zahl zwischen 150-300 Banken gegenüber heute ca. 1.600 in Deutschland tätigen Banken.“
Boom!
Diese Aussage gilt für das so genannte „Disruptionsszenario“; hier werden 120 bis 180 Banken erwartet; das ist also im Mittelwert die magische Zahl von noch 150 Banken.
Im Evolutionsszenario wird eine Bandbreite von 320 bis 380 Banken als im Jahre 2030 noch existent prognostiziert, hier wäre der Mittelwert also 350 Banken.
Die Autoren legen sich dann aber fest auf die Aussage, dass die Zahl 150 die wahrscheinlichere ist. Somit unterstellen Sie implizit, dass sie nicht an das Evolutionsszenario glauben, sondern die härtere Variante, das Disruptionsszenario, für zutreffender halten.
Starker Tobak.
Unterstellt man eine lineare Reduktion der Banken, so gilt für die ca. 900 Genobanken folgende Perspektive:
- wenn aus aktuell insgesamt 1.600 Banken in nur zwölf Jahren nur noch 150 werden,
- …dann werden von heute 900 VR-Banken ( = 56,25% aller Banken) in nur zwölf Jahren nur noch etwa 85.
Somit würden rund 815 Genobanken in dieser doch eher kurzen Zeit verschwinden.
Das klingt nach einem Erdbeben.
Andererseits: wenn jährlich 50 Genobanken durch Fusion verschwinden, sind das auch 600 in zwölf Jahren und dann gäbe es 2030 auch nur noch 300 selbständige Genobanken.
Vor diesem Hintergrund postulieren die Autoren drei zentrale Anforderungen an die Banken, die diese Reise nach Jerusalem gewinnen wollen:
- „Mut zu einer klaren strategischen Positionierung“
- „Erhöhung der kulturellen Flexibilität“
- „Erhöhung der Innovationsfähigkeit“
Und als die hierfür notwendige Schlüsselkompetenz einer Bank werden Führungskräfte genannt, die „durch aktives Vorleben und Veränderungswillen den Weg in die Zukunft weisen.“
Klare Aussagen, die mir ausgesprochen gut gefallen: In einer VUCA-Welt steigt die Bedeutung des Faktors Mensch immer weiter an und die der Excel-Friedhöfe sinkt.
Der Glaube an die Schein-Objektivität von Zahlenkolonnen verkennt das Wesen von Dienstleistunsgbeziehungen völlig.
Es geht um Menschenzentrierung – innerhalb und außerhalb der Banken.
Und den Autoren geht es eben nicht primär um Kostensenkung, die letztlich keine Strategie darstellt, sondern nur begleitenden Charakter haben kann. Kostensenkung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Erfolg.
Hinreichende Bedingungen werden ausschließlich über Differenzierung geschaffen – hinsichtlich der strategischen Positionierung, der kulturellen Flexibilität und der Innovationskraft.
Damit wird auch deutlich, wohin die Investitionen fließen müssen – in die Menschen.
Sehr stark finde ich auch die Ableitung der möglichen Marktpositionierungen, jeweils für das Evolutions- wie auch für das Disruptionsszenario. Diese von den Autoren entwickelte Landkarte möglicher strategischer Positionierungen ist sehr klar und ausgesprochen hilfreich.
Für lokale Banken wie VR-Banken und Primärsparkassen bleibt allerdings nur eine sinnvolle Position pro Szenario übrig:
- die des „Platzhirsches“ im Evolutionsszenario und
- die des „Technik-Lotsen“ im Disruptionsszenario
Beiden sind zwei Eigenschaften gemein:
- Die Beherrschung von IT wurde zu einer Kernkompetenz entwickelt
- Die Größe dieser neuen regionalen Universalbanken übersteigt die heutiger Primärgenossenschaften und Primärsparkassen bei weitem.
Und damit ergibt sich ein Dilemma: wie können Banken dieser Größe noch lokalen Charakter haben, nahbar sein? Die erwarteten Bilanzsummen lassen sich insbesondere im eher ländlichen Raum nur über sehr großflächig agierende Banken darstellen. Diese aber überspannen viele Regionen.
Wenn sie regionalen Charakter behalten wollen, bedarf das maximaler Autonomie einzelner regionaler „Teilbanken“, die letztlich von einer Dach-Genossenschaft oder Dach-Sparkasse gesteuert werden.
Hier ergibt sich somit der erste fundamentale Denkansatz, um den Bankenreport weiter zu denken.
Das zweite offene Thema ist die in der Ausarbeitung oft beschriebene „kulturelle Flexibilität“. Das klingt gut, aber müsste tiefer ausgearbeitet werden. Letztlich dürfte das Thema der Agilen Organisation damit gemeint sein, aber hier fehlt mir etwas Fleisch am Knochen und Klarheit.
Insgesamt finde ich den Bankenreport aufrüttelnd und hilfreich. Er bietet konkrete Ansätze für Strategieentwicklung und zum weiter denken.
Zwar tauchen einige schon oft gehörte Platitüden auf – mir gefällt insbesondere nicht die ziemlich undifferenzierte Kritik am deutschen Drei-Säulen-Modell der Finanzwirtschaft, die keineswegs so einhellig wie im Text genannt von den deutschen Aufsichtsbehörden geteilt wird (wann hören wir endlich auf, unsere nationalen Erfolgsmodelle aus der angelsächsischen Brille selbst klein zu reden?) – und einiges ist unfertig, vgl. oben.
Aber der Report regt zum Nachdenken an. Und damit ist er wertvoll.
Lesenswert!
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