16. Februar 2023 Buchbesprechungen, Psychologie

Ralf´s Reader´s Corner: „Anleitung zum Unglücklichsein“ (1983) von Paul Watzlawick

Hallo liebe Leserinnen und Leser,

obwohl ich mich in den letzten Beiträgen stark auf das Thema Wirtschaft konzentriert habe, so lese ich doch weiterhin auch ganz andere Lektüre. Es ist immer Philosophie dabei, Politik und Geopolitik. Aber vor allem auch oft und gerne Psychologie; insbesondere auch zunehmend Bücher, die Psychologie und Gehirnforschung verbinden.

Eine kurze Diskussion auf LinkedIn setzte mir den Impuls, eines meiner Lieblingsbücher, das mir meine Schwestern 1987 geschenkt hatten, erneut zu lesen: Paul Watzlawicks Klassiker „Anleitung zum Unglücklichsein“.

Wer ist Paul Watzlawick?

Das sagt die Wikipedia: Paul Watzlawick (* 25. Juli 1921 in VillachKärnten; † 31. März 2007 in Palo AltoKalifornien) war ein österreichischer PhilosophPsychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler.

Vor allen Dingen aber konnte er auch wundervoll schreiben (Freud übrigens auch), und dieses populärwissenschaftliche Büchlein legt dafür Zeugnis ab.

Nun, der Verlag (Piper (Ausgabe von 1987), im Buch-Umschlag) schreibt dazu: „Man kann Paul Watzlawicks neues Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge lesen: Jeder Leser dürfte etwas von sich selbst in diesem Buch wiederfinden – nämlich seine eigene Art und Weise, den Alltag unerträglich und das Triviale enorm zu machen.“

Das trifft es auf den Punkt, so habe ich das Buch erlebt. Irgendwann bleibt die Botschaft übrig: „Nimm Dich nicht so wichtig“. Das hat mir ein gut bekannter Psychologe als Lebensweisheit ebenfalls nahegebracht. Aber dieses Büchlein karikiert unsere alltäglichen Verrücktheiten besonders pikant.

Sehr oft lacht man herzlich über diese verrückten Verhaltensweisen anderer. Dann hebt man den Kopf und sieht…in den Spiegel. Die gesunde Variante ist nun, weiter zu lachen – über die eigenen Unzulänglichkeiten. Und daran zu arbeiten, eben kein Meister darin zu werden, sich das Leben professionell zu vermiesen.

Wer es doch tun möchte, ist mit diesem Leitfaden bestens bedient: Watzlawick zeigt auf, wie wir eine stabile Situation andauernden Unglücklichseins herbeiführen können.

Nun, wohlan, auf ins Gefecht – einige der besten Tips des großen Meisters will ich beschreiben:

Watzlawick weist zunächst auf eine uralte Erkenntnis hin: „Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.“ (S.10.) Diese grundlegende Erkenntnis wurde u.a. von Dostojewski, bekanntlicherweise laut Nietzsche (Watzlawick geht darauf ein) der größte Psychologe aller Zeiten, markant formuliert.

Angesichts dieser Erkenntnis gibt sich nun Watzlawick größte Mühe, die Zahl der guten Tage seiner Leserinnen und Leser zu minimieren, ihnen hierfür das Werkzeug (neudeutsch: die Toolbox) zu liefern.

Er sieht hier akuten Handlungsbedarf, denn es gilt: „Die Zahl derer, die sich ihr eigenes Unglück nach bestem Wissen und Gewissen selbst zurechtzimmern, mag verhältnismäßig groß scheinen [dem stimme ich zu / RK]. Unendlich größer aber ist die Zahl derer , die auch auf diesem Gebiet auf Rat und Hilfe angewiesen sind.“ (S. 13)

Hier zeigt sich Watzlawicks zutiefst altruistische Motivation: „Ihnen sind die folgenden Seiten als Einführung und Leitfaden gewidmet.“ (S. 13)

Um diesen Weg erfolgreich beschreiten zu können, ist es wichtig, die zentrale Frage, den Nordstern niemals aus den Augen zu verlieren: „Wie aber bringen wir es alltäglich fertig, uns zu unseren eigenen Gegenspielern zu machen?“ (S. 18) Die erfolgreiche Beantwortung dieser Frage ermöglicht es uns laut Watzlawick, die höchsten Stufen der Meisterschaft im Unglücklichsein zu erreichen.

Und Watzlawick liefert sogleich eine fundamentale Antwort dazu, eine unbedingt zu entwickelnde Eigenschaft: „…die Überzeugung, daß es nur eine richtige Auffassung gibt: die eigene.“ (S. 18)

Diese Überzeugung ermöglicht es, die Welt als ausgesprochen schlecht zu klassifizieren, womit es signifikant erleichtert wird, eine stabile Gemütslage des Unglücklichseins zu erzeugen. Die Welt wird als permanente Abweichung vom wünschenswerten Sollzustand erlebt, wodurch positive Gemütslagen zuverlässig unterdrückt werden. wer diesen weg zur Meisterschaft meistert, den beschreibt Watzlawick ehrfurchtsvoll so: „Als Kapitän seines Lebensschiffes, das die Ratten bereits verlassen haben, steuert er unbeirrt in die stürmische Nacht hinein.“ (S. 19)

Welch eine Perspektive eröffnet uns Watzlawick hiermit! Es ist wie eine Schachpartie, in der man nach einer bekannt ungesunden Eröffnung die eigene Verteidigung aufgibt und ungeordnet gegen den stärksten Punkt des Gegners anrennt.

Solche Partie gelingen mir als mittelmäßig begabtem Schachspieler zwar immer wieder – aber eben nicht immer. Es ist wieder einmal der Kernpunkt: ohne Nachhaltigkeit ist alles nichts.

Der Weg zum Erfolg setzt, so ein weiterer wichtiger Punkt, voraus, dass die Fähigkeit der Zeit, Wunden zu heilen, ausgeschaltet wird. Andernfalls wäre es schwierig, den Zustand des Unglücklichseins zu stabilisieren. Hierfür ist es u.a. wichtig, so Watzlawick, immer und andauernd die Vergangenheit zu verherrlichen.

Zwei Empfehlungen hierfür nennt er:

  • „Dem begabten Unglücksaspiranten dagegen sollte es wirklich nicht schwerfallen, seine Jugend als das unwiederbringlich verlorene Goldene Zeitalter zu sehen und sich so ein unerschöpfliches Trauerrreservoir zu erschließen.“ (S. 22)das klingt überzeugend. Ich erinnere mich ein Lied, in dem es heißt: „Schön war die Jugend, sie kommt nicht mehr.“ Vielleicht könnte auch das, als Endlosschleife über Kopfhörer konsumiert, einen Beitrag leisten.
  • „Ein anderes [Beispiel] wäre die tiefe Trauer über den Zusammenbruch einer Liebesbeziehung.“ (s. 22) Folgende Annahme führt hier zur Meisterschaft: „Glauben Sie einfach nicht, dass Trennung das bei weitem kleinere Übel ist. Überzeugen Sie sich vielmehr zum x-Mal, daß ein ernsthafter, ehrlicher „Neuanfang“ diesmal den idealen Erfolg haben wird. (Er wird es nicht).“ (S. 22) Watzlawicks Überlegungen könnten somit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Generierung und Stabilisierung von Ehehöllen leisten.

Einen ganz wichtigen Punkt auf dem Weg zur Meisterschaft, eine gefährliche Falle, erwähnt er eher beiläufig: „Wo kämen wir denn hin, wenn sich immer mehr Menschen davon überzeugen, daß ihre Lage hoffnungslos, aber nicht ernst ist?“ (S. 26) .

„Hoffnungslos, aber nicht ernst“. Welch ein Wortspiel des großen Kommunikationswissenschaftlers.

Diese Gefahr besorgt Watzlawick erkennbar. Aber er bleibt optimistisch: helfen kann z.B. die felsenfeste Annahme, dass das Leben determiniert ist vom Unglück der eigenen Kindheit und dieses auf gar keinen Fall mehr ungeschehen gemacht werden kann.

Als wichtigen Allzweck-Schraubenschlüssel für viele Situationen, in denen Glücksmomente bedrohlich   auf Himmel heraufziehen, empfiehlt er das bewährte Prinzip „mehr desselben“. Dieses beschreibt er begeistert als „…eines der erfolgreichsten Katastrophenrezepte“ (S. 27), da die alten Methoden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf aktuelle Probleme passen und sich damit ein stabiler Zustand des Unglücklichseins erzeugen lässt.

Der absolute Klassiker ist jedoch jener überragende Mechanismus, der sich in der berühmten „Geschichte mit dem Hammer“ in voller Blüte zeigt. Worum geht es? Nun, ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, aber nicht den Hammer. Jedoch hat der Nachbar einen. Die Art und Weise, wie sich nun unser extrem Talentierter Meisterschüler des Unglücks in das anstehende Gespräch mit dem Nachbarn hineinfantasiert, Schritt für Schritt mehr Aggression aufbauend, ist für die Ewigkeit: (S. 37f.)

  1. Fantasie: „Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will?“
  2. Fantasie : „Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich.“
  3. Fantasie: „Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein.“
  4. …..

Im Ergebnis läuft er zum Nachbar; dieser öffnet ahnungslos die Tür und unser Held schreit ihn an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (S. 38)

So geht das, so macht man das. Psychotherapeut Watzlawick umschreibt diesen siegbringenden Mechanismus wie folgt: „Wenige Maßnahmen eignen sich besser zur Erzeugung von Unglücklichkeit, als die Konfrontierung des ahnungslosen Partners mit dem letzten Glied einer langen, komplizierten Kette von Phantasien, in denen er eine entscheidende, negative Rolle spielt.“ (S. 38f.)

Brillant. Einfach nur brillant.

Natürlich darf man es nicht anders herum verwenden. Hier verweist Watzlawick auf Ovid als mahnendes Negativbeispiel: „rede dir ein, du liebst, wo du flüchtig begehrst. Glaub es dann selbst…aufrichtig liebt, wem´s gelang, sich selbst ins Feuer zu sprechen.“ (S. 38)

Vor Nachahmung sei also ausdrücklich gewarnt. Sogar Ovid konnte falsch denken.

Die gesamte Toolbox bedarf jedoch auch immer wieder des Erinnerns an einen zentralen Glaubenssatz: „Du darfst tun, was Du willst, solange es Dir keinen Spaß macht.“ (S. 84)

Ausgerüstet mit der richtigen Einstellung, versehen mit einem Koffer hochwirksamer Werkzeuge und das Ziel immer fest vor Augen, kann es gelingen, kann der Zustand des permanenten Unglücks erreicht werden.

Albert Camus war es, so glaube ich, der Sisyphus als glücklichen Menschen beschrieb. Watzlawick hält auch hier dagegen und zeigt Wege auf, Glücksmomente zuverlässig zu verhindern.

Das Buch bietet dazu viele weitere Ideen, deren intensives Studium ich dringend empfehle. Nur regelmäßige Übung auf Basis tiefen Studiums macht hier den Meister des Unglücks.

Für diejenigen aber, die einen anderen Weg gehen wollen, Phasen des Glücks erhoffen, bietet Watzlawick auf der letzten Seite, im Epilog, eine einfache Lösung an: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.“ (S. 128).

Das Problem: „…in unserem Kopf wissen wir es auch; aber glauben tun es nur einige wenige Glückliche. Glaubten wir es nämlich, dann wüßten wir, daß wir nicht nur die Schöpfer unseres eigenen Unglücklichseins sind, sondern genausogut unsere Glücklichkeit selbst schaffen könnten.“ (S. 128)

Zur Untermauerung dieser hoffnungsvollen Schlussbotschaft zitiert Watzlawick erneut den großen Dostojewski, und ausgerechnet aus dessen m.E. düstersten Werk, den „Dämonen“, bei dessen Lesen es mir oft graute, auch wenn ich ein echter Dostojewski-Fan bin.

So endet dieses Buch des großen Philosophen, Psychotherapeuten und Kommunikationswissenschaftlers für uns interessierte Laien mit dem Verweis auf den undurchdringlichen Schriftsteller, den der selbst nicht gerade einfach zu verstehende Nietzsche wiederum für den größten Psychologen hielt.

Watzlawick kann erkennbar nicht nur Psychologie vermitteln, sondern auch Dramaturgie erzeugen. Welch ein genialer Mensch muss er gewesen sein.

 

Fazit zum Buch: Klare Empfehlung!

Bewertung: Sechs von fünf Sternen

 

 

PS Für die Veröffentlichung dieses Beitrags an Altweiber gilt: Honi soit qui mal y pense!

PS 1 Die Sätze bauten sich heute während einer Wanderung im Rheinischen in meinem Kopf auf. Was sollte da auch sonst herauskommen an diesem Tag?

PS 2 Don´t shoot me, I´m only the Piano Player (Elton John)

PS 3 die nächste Rezension befasst sich mit einem ernsten Thema – der Tugend „Wahrhaftigkeit“ – stay tuned!