22. August 2024 Buchbesprechungen, Management

Ralf´s Reader´s Corner: „Arbeitgeber-Attraktivität und Führung: ein Impulsgeber“ (2024) von Cornelius Riese

„Arbeitgeber-Attraktivität und Führung: Ein Impulsgeber“, von Cornelius Riese (2024)

 

Er hat es wieder getan: Cornelius Riese, Vorstandsvorsitzender der genossenschaftlichen Zentralbank DZ Bank, hat ein weiteres Buch geschrieben.

Das erste Buch (bankfachliche Veröffentlichungen nicht mitgerechnet), „Wahrhaftigkeit“, erschien 2021 inmitten der COVID-19-Pandemie und behandelte mit differenzierten,  oft nachdenklich stimmenden Geschichten dieses wesentliche moralisch-ethische Thema.

Ganz anders nun das neue Buch: es ist ein handlicher Impulsgeber für Führungskräfte, somit ein Buch, das der Rubrik „Handwerk des Managements“ zugeordnet werden kann.

Beachtenswert ist jedoch schon an dieser Stelle, dass Riese die Arbeitgeberattraktivität bereits im Buchtitel zur Führungsaufgabe deklariert und damit die Führungskräfte in die Verantwortung nimmt.

Worum also geht es ihm konkret, was treibt ihn an? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Arbeitgeber-Attraktivität ist die zentrale Erfolgsvoraussetzung von Organisationen jedweder Natur.“ (S. 7)

Das ist fundamental. Nicht „eine“ Erfolgsvoraussetzung, sondern „die zentrale.“

Und, den Buchtitel herleitend: „Gute Führung wiederum ist die Grundlage und somit die notwendige Bedingung für eine nachhaltig hohe Arbeitgeber-Attraktivität.“ (S. 7)

Damit aber gilt, die beiden Kausalitäten integrierend: Gute Führung ist die zentrale Erfolgsvoraussetzung für alle Unternehmen; sie manifestiert sich in einer hohen Arbeitgeber-Attraktivität.

Nun gibt es zu beiden Themen sehr viel zu lesen. Hat der Autor also nur einen weiteren Ratgeber mit einer zu vielen anderen Beiträgen redundanten Sicht der Dinge geschrieben, im Sinne Karl Valentins: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“? Nein, hat er nicht. Und das wäre auch für Riese untypisch gewesen und hätte mich überrascht.

Vielmehr definiert er erstens sein Buch bescheidener als „Impulsgeber“, der Anregungen für das eigenständige Denken vermitteln soll und somit in guter genossenschaftlicher Tradition der Hilfe zur Selbsthilfe steht. Das Buch ist ein Angebot, selbständig weiter zu denken.

Und es geht auch zweitens keineswegs nur um des Autors eigene Impulse und Anregungen. Vielmehr hat er hochkarätige Unternehmer- und Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft zu ihrer Sicht auf diesen Themenkomplex befragt.

Und auch die Methodik der Befragung ist – zumindest für mich – Neuland und hebt das Buch von inhaltlich ähnlich gelagerter Literatur ab: Der Autor hat die aus seiner Sicht relevanten Begriffe aus dem Bereich Arbeitgeber-Attraktivität und Führung dergestalt mit dem Alphabet verbunden, dass jeder Buchstabe mit einem Begriff belegt ist: von A wie Augenhöhe bis hin zu Z wie zeitlos. Dieses so definierte Alphabet hat er sodann seinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern zur Verfügung gestellt und sie dabei gebeten, sich auf einen, maximal einige wenige Buchstaben (und damit Begriffe) im Gespräch zu fokussieren.

Im folgenden seien die aus meiner Sicht bemerkenswertesten und auch zu eigenen Gedanken besonders anregenden Aussagen aus den Dialogen dargestellt:

 

Angie Gifford, Vizepräsidentin bei Meta Platforms

– „In der individuellen Führung geht es für mich um das Prinzip der dienenden Führung, also Serving Leadership.“ (S. 33) Von dieser Leadership-Variante, mir eher bekannt unter „Servant Leadership“, begründet von Robert Greenleaf, hatte ich zuletzt eher weniger gehört, aber der Gedanke bleibt aktuell, insbesondere in Giffords Interpretation, die es mit dem Buchstaben C für Coaching inhaltlich befüllt.

– „Einer der größten Fehler ist, wenn Führungskräfte Abbilder von sich selbst rekrutieren.“ (S. 39) Die Aussage ist nicht neu. Aber sie ist extrem wichtig, neigen wir Führungskräfte nicht alle zumindest ansatzweise zu diesem Verhalten? Es ist bequem, kann aber in die Irre führen. Eigene Erfolgsmuster der Vergangenheit können in der nächsten Generation völlig unzureichend sein.

Jan-Hendrik Goldbeck, geschäftsführender Gesellschafter Goldbeck

– „Mir kommt zugute, dass ich wenig nachtragend bin, sowohl gegenüber anderen als auch gegenüber mir selbst. Ich glaube, dass sich Dinge, die man sich selbst nachträgt, Schicht für Schicht wie ein negatives Sediment in der Seele ablagern.“ (S. 47)

Führung bedeutet zunächst einmal Selbstführung. Und Selbsthass ist sicherlich keine Grundlage guter Selbstführung. Dazu passt Marc Aurels Aussage in seinen „Selbstbetrachtungen“, dem Meisterwerk der Anwendung stoischer Prinzipien auf das eigene Leben: „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“

– „Wir halten nicht viel vom Begriff „Work-Life-Balance“, da er einen künstlichen Widerspruch erzeugt. Uns geht es darum, das die Arbeit ein vom Individuum bejahter Teil des Lebens ist.“ (S. 48) Es ist noch nicht lange her, da wäre Goldbeck mit dieser Aussage in der Minderheit gewesen. Mittlerweile wächst die Erkenntnis, dass wir unsere Standortprobleme gewiss nicht mit weniger Arbeit lösen (es sei denn, die Arbeitsproduktivität stiege massiv an), zumindest, wenn wir den Wohlstand nicht verlieren und den nächsten Generationen Lust auf ein Leben in  Deutschland vermitteln wollen.  Für ihn gilt somit diese These: In einer Leistungskultur stört Arbeit nicht das Leben, sondern ist ein fundamentaler Bestandteil desselben. Lebensqualität und Fleiß sind keine Antipoden. Mit dieser Haltung wurde Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut und ein reiches und angesehenes Land. Und nur so bleibt es auch ein reiches Land.

Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende des Vorstands und geschäftsführende Gesellschafterin Trumpf

– „Grundvoraussetzung für Führung ist Empathie.“ (S. 55) Punkt. Einfach, aber unglaublich wichtig. Kann man Empathie erlernen? M.E. nur eingeschränkt. Also sind in der Konsequenz auch nicht alle Menschen für Führungsaufgaben geeignet. Führung ist eine eigene Kompetenz, nicht das Ergebnis hoher Fachlichkeit.

Theodor Weimer, Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Börse

– „Bis zum 35 bis 40. Lebensjahr kannst Du an Deinen Schwächen arbeiten. Danach geht es darum, die Stärken zu kultivieren.“ (S. 62) Ein ganz wichtiger Punkt: Selbstakzeptanz setzt Akzeptanz der eigenen Schwächen voraus. Der ewige Kampf gegen sie und damit gegen sich selbst ist eine perspektivlose Sisyphos-Arbeit.

Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung dm

– „Menschen bewerben sich bei Unternehmen und verlassen es wegen Vorgesetzten.“ (S. 76) Diese Aussage ist ein klarer Appell an die ganz persönliche Verantwortung der direkten Führungskraft. Diese ist nicht delegierbar.

– „Wir versuchen, eine konstruktive Unzufriedenheit zu kultivieren.“ (S. 76) Der Kern des Erfolgs: Stillstand ist Rückschritt. Der Erfolgshunger muss bleiben.

Stefan Wintels, Vorsitzender des Vorstands KfW

– „Ich bin generell davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass sich Menschen hinterfragen, was sie antreibt, was ihre wirkliche, tiefere Motivation ist.“ (S. 80)Assig/Echter arbeiten das in ihrem exzellenten Buch „Ambition – wie große Karrieren gelingen“ wunderschön heraus: es gilt, oberflächlichen, extern getriebenen, Ehrgeiz zu überwinden und die eigene innere Ambition zu finden. Nur so werden Führungskräfte zu Leadern und Botschaftern ihrer Unternehmen. Und ohne Botschafterinnen und Botschafter gibt es keine erkennbare Arbeitgeber-Attraktivität.

– „[…] ich arbeite an mir, ähnlich wie ein Sportler, um täglich besser zu werden.“ (S. 85) Nur so geht es. Der Weg zum nachhaltigen Erfolg ist kein Sprint, es ist ein Marathon. Mit der Chance, immer besser zu werden.

– „[…] sollte Arbeitgeber-Attraktivität eine der Kernprioritäten jedes CEOs bzw. Vorstands sein.“ (S. 87).  Andernfalls ist das Unternehmen in diesem zentralen Punkt unglaubwürdig.

Reinhard Zinkann, geschäftsführender Gesellschafter Miele

– „Wichtig ist, nah an den Menschen zu sein.“ (S. 97) Die Qualität der Führung, und damit die Arbeitgeber-Attraktivität, werden von der Nahbarkeit der Führungskräfte massiv beeinflusst. Auch Zinkann verweist auf das „Servant Leadership“, hier mit Bezug zu Hinterhuber. Es ist bemerkenswert, dass diese Variante des Leadership-Ansatzes in mehreren Interviews die von den Befragten präferierte ist.

– „Es geht um das ,Wir´ und nicht um das ,Ich´. Im Klartext: Meinungsverschiedenheiten ja, Eitelkeit und Machtspiele nein“ (S. 100) Ein hehrer Anspruch, der aber nicht deshalb an Bedeutung verliert, weil er in Reinkultur nur schwer erreichbar ist.

Jede Leserin, jeder Leser, wird sicher auch andere Aussagen aus Rieses Gesprächen  mit diesen durchaus sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten als besonders interessant empfinden. Es zeigt sich, wie reichhaltig hier der Tisch gedeckt wurde, er beherbergt ein variantenreiches Mal der Denkanstöße.

Im Schlussteil schaut Riese nach vorne. Er fasst die Gespräche in neun ihm besonders wichtigen  Thesen zusammen:

  1. Auf den Menschen (und das Menschenbild) kommt es an
  2. Die Leistung zählt
  3. Entscheidend ist das Führen und Entscheiden
  4. Die Arbeit an sich selbst hört nie auf
  5. Wider den Mister X: Position beziehen in gesellschaftlichen Debatten
  6. Arbeitgeber-Attraktivität ist Chefsache
  7. Kommunikation: Funken auf allen Kanälen
  8. Personalprozesse: doch mehr als nur ein Hygienefaktor
  9. Ganzheitlichkeit: raus aus den Silos

 

Zuletzt verweist der Autor mit Marc Aurel auf die Zeitlosigkeit der Themen: „Bei allem, was Du tust, gehe besonnen zu Werke und so, dass Du dabei die höchsten Grundsätze im Auge hast.“ (S. 111) Rieses Herleitung dieser Thesen ist überzeugend, aber hier empfehle ich den Interessierten das aktive Lesen und verzichte auf eigene Aussagen. Es mag sein, dass der Autor mit der Verwendung eines Zitats des von mir hochverehrten Stoikers als Schluss-Satz mein Herz erwärmt hat.

Aber auch eine nüchterne Betrachtung führt mich zu dem Ergebnis, dass dieses Buch zwar hinsichtlich des Volumens nicht umfangreich, aber inhaltlich wahrlich nicht „dünn“ ist. Die Struktur ist ungewöhnlich, die Gespräche bieten vieles zum Nachdenken und Rieses abschließende Überlegungen, zu den neun Thesen führend, sind schon für sich genommen des Lesens wert.

 

Fazit: ein für Führungskräfte wirklich hilfreiches Buch – 5/5 Sterne

 

Cornelius Riese selbst hat seine Motivation für dieses Buch, dessen Entstehung und die Inhalte der Gespräche hier erläutert: https://youtu.be/FBboSYWzMck