Ralf´s Reader´s Corner: „Effektivität der transformationalen Führung – Helden, Visionen und Charisma“ (2016) von Prof. Dr. Marco Furtner
Nachdem ich beim Surfen durch die Literatur zum Thema Leadership kürzlich bei Furtners „Dark Leadership“ hängen blieb und es mit großem Gewinn las, stellte ich fest, dass dieses Buch Teil einer Führungstetralogie Furtners ist:
- „Effektivität der transformationalen Führung“
- „Empowering Leadership“
- Dynamische Mitarbeiterführung“ und das schon hier vorgestellte
- „Dark Leadership“
Alle vier sind Büchlein von jeweils nur rund 30 Seiten Text, die es aber – soviel kann ich jetzt schon sagen – inhaltlich in sich haben und sehr lehrreich sind. Und Lust auf vertiefte Lektüre machen. Alle vier werde ich hier vorstellen – und danach auf einen scharfen Kritiker des ganzen Leadership-Themas, Fredmund Malik, näher eingehen.
Nachdem ich nun also das Pferd von hinten aufgezäumt und mit dem Schlussbaustein begonnen hatte, war als nächster Teil der erste an der Reihe. Und danach kommen dann die verbleibenden Teile 2 und 3. Ein bisschen Struktur muss sein.
Nun also zum ersten Teil der Tetralogie – „Effektivität der transformationalen Führung“. Ein sperriger Titel, zugegeben. Und nicht so aufregend wie „Dark Leadership“, zweifellos. Aber die transformationale Führung ist ein wichtiges Thema in der Führungsdiskussion und ich hatte mich damit bisher noch fast gar nicht beschäftigt.
Worum also geht es in dem Buch?
Nun, aus Sicht des Autors um das bedeutendste Führungsverhalten: „Die transformationale Führung gilt als das mächtigste und idealste Führungsverhalten, welches in der Führungsforschung jemals beschrieben wurde.“ Große Worte.
Von diesem Führungsverhalten hatte ich häufiger gehört, war aber bisher nie tiefer darauf eingestiegen. Nun war ich natürlich noch neugieriger.
Wenig später folgt ein Satz, der mich als Malik-Leser dann doch überraschte und zunächst irritierte: „Der besondere Reiz der transformationalen Führung liegt darin, dass ihr zentrales Kernelement das Charisma darstellt.“
„Wie bitte? Ausgerechnet Charisma?“ Das waren meine Gedanken. Um Malik zu zitieren: „War nicht gerade das vergangene Jahrhundert die Epoche der charismatischen Führer schlechthin, und hießen sie nicht Hitler, Stalin und Mao?“ (Fredmund Malik, „Gefährliche Management Wörter – Und warum man sie vermeiden sollte“, Frankfurt/Main 2007, S. 19).
Malik legt nach und wird konkreter: „Charismatische Führer sind gefährlich, weil sie sichnicht an Regeln halten. Sie sind unberechenbar; sie glauben, das Universum unter Kontrolle zu haben; sie verfolgen Utopien.“ (a.a.O., S. 20).
Malik hält Charisma für ebenso unnötig wie gefährlich im Hinblick auf richtige Führung.
Soviel zur Gegenposition, nun zurück zu Furtner. Er sieht in der transformationalen Führung die richtige für schwere Zeiten und im Charisma den Hebel, um Menschenmassen zu bewegen: „Mittels der Strahlkraft des Charismas vermitteln transformationale Führungskräfte Sicherheit und Hoffnung.“
Ist hier der Wunsch des Vater des Gedankens? Ich komme nicht umhin, Maliks Warnung sehr ernst zu nehmen. Furtner ist hier aber sicher nicht naiv, denn an späterer Stelle schreibt er nachdenklich: „Transformationale Führungskräfte sind Händler der Hoffnung.“
Im weiteren Verlauf leitet Furtner die transformationale Führung aus den diversen Heldensagen der Menschheit ab. Danach befasst er sich mit der spannenden und stets gerne diskutierten Thematik, ob Charisma angeboren oder erlernbar ist. das für mich etwas überraschende Ergebnis Furtners ist, dass Charisma zu einem gewissen Teil sehr wohl erlernbar ist.
Als ebenso wichtig für das Charisma wie die Persönlichkeit erweist sich laut Furtner das von ihm sogenannte „Machtmotiv“: Hier unterscheidet er das „helle“ = kontrollierte und damit sozialisierte Machtmotiv vom dunklen, bei dem es nur um persönliche Vorteile geht. Hier tauchen dann auch zwei aus Teil 4 (das Buch „Dark Leadership“) gute Bekannte auf: der Narzisst und der Machiavellist. Aber auch beim hellen Machtmotiv taucht Egoismus auf, nur auf höherer Ebene, Dank und Anerkennung werden hier über objektiv gute Taten generiert.
Nachdem ich bis hierhin durchaus beunruhigt war; vielleicht einfach, weil Maliks Schriften mich stark beeinflusst haben, stieß ich dann auf weitere Punkte, bei denen deutlich wird, dass Furtner das Charisma sehr wohl differenziert betrachtet und seine Gefahren erkennt.
Im weiteren Verlauf verlässt Furtner dann wieder diese beiden dunklen Gesellen Narziss und Machiavelli und wendet sich der tieferen Analyse der transformationalen Führung zu. Diesen Part fand ich besonders lehrreich und ergiebig.
Auch die Abgrenzung zur „transaktionalen Führung“ war für mich Neuland und sehr aufschlussreich.
Während Furtner zwar sagt, dass transformationale Führung erlernbar ist, betont er jedoch, dass jeder Weg dorthin nur über den Einsatz des Themas „Self-Leadership“ führt. Dieses definiert er als „…[] die effektive Selbstbeeinflussung zur Steigerung der persönlichen Effektivität und Leistung […].“
Letztendlich, auch anhand von Beispielen, landet Furtner wieder bei seiner Kernaussage: „Die besondere Ausstrahlung des Charismas ist es, welche den Kern der transformationalen Führung darstellt.“
Und damit blieb ich am Ende dieses kleinen Büchleins, etwas ratlos, wenn auch (hoffentlich) auf höherem Niveau zurück.
Das Buch bringt einen definitiv zum Nachdenken und ist voller Wissen und Denkanstößen. Aber eine leichte Skepsis hinsichtlich der Auswirkungen charismatischer Menschen auf die Seelenlage anderer bleibt. Wie kann das Machtmotiv dauerhaft hell genug bleiben? Wie verfällt der Charismatiker nicht „der dunklen Seite“?
SpannendeFragen.
Fazit: 4 von 5 Sternen.
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Dr. Ralf Kölbach
am 31. January 2019 um 20:17 Uhr
Sehr geehrter Herr Mayer,
vielen Dank für Ihre freundlichen Worte und Ihren hochinteressanten Kommentar! Es ist immer schön, wenn gelegentlich jemand einen Beitrag kommentiert.
Zu Ihren Aussagen: Sie bringen den zentralen Aspekt der Selbststeuerung ins Spiel. Ja, ich glaube auch, dass man immer die Wahl zwischen hell und dunkel, gut und böse hat. Da gibt es doch dieses alte Indinaer-Sprichwort, das genau dieses besagt: Ob sich der weiße oder schwarze Wolf in einem durchsetzt, liegt daran, welchen man füttert. Für Christen ist dasselbe ohnehin klar: wir haben die Wahl und können die Verantwortung dafür nicht delegieren.
Spannend finde ich aber auch, dass es (und zwar wohl viele) Charaktere gibt, die zwar grundsätzlich narzisstisch geprägt sind, aber dadurch, dass sie es schaffen, den Wunsch nach Anerkennung durch „gute“ Taten zu sättigen, letztlich eben „helle Narzissten“ zu bleiben bzw. es zu werden und damit sehr segensreich wirken zu können.
Persönliche Eitelkeit bleibt das dominante Prinzip, aber es wird umgelenkt auf Applaus aus guten, nicht-egoistischen Taten.
Dadurch wird ein Abdriften in die dunkle Seite des Narzissmus verhindert, die ja perspektivisch immer zur Zerstörung sozialer Beziehung führt und damit langsam, aber sicher jede noch so große Karriere zum Fall bringt.
Und die dunkle Seite verliert irgendwann auch die Fähigkeit zur Impulskontrolle und dann kommen die im wahrsten Sinne des Wortes asozialen Facetten, die Psychopathie, hinzu.
So jedenfalls habe ich Furtner verstanden.
Beste Grüße
RK
Michael Mayer
am 31. January 2019 um 11:29 Uhr
Sehr geehrter Herr Dr. Kölbach,
vielen Dank für Ihre wertvollen Denkanstöße. Anbei meine Gedanken zu dem Thema:
Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir unseren Fokus häufig auf die negative Seite der Medaille lenken, um künftigen Gefahren vorzubeugen. Genauso haben wir aber die Wahl unseren Fokus auf die positive Seite zu richten. Wie die Beispiele von Helmut Schmid, Konrad Adenauer, Richard von Weizsäcker, Stephen Hawking, Steve Jobs und vielen anderen charismatischen Führern zeigen, schließen sich Charisma und Realitätssinn nicht aus.
Essentiell für gute Führung ist die Fähigkeit zur Selbststeuerung, d.h. die Fähigkeit sein Verhalten in Bezug auf dessen Auswirkungen auf das Umfeld zu reflektieren und sich dadurch weiter zu entwickeln. Den Unterschied zwischen der „dunklen“ und „hellen“ Seite liegt darin, wie diese Fähigkeit zur Selbststeuerung eingesetzt wird. Die „dunkle“ Seite nutzt diese Fähigkeit ihr persönliche Macht auszubauen. Die Entscheidungen solcher Führer basieren auf Werten wie Autorität, Dominanz, Reichtum, Ruhm und Überlegenheit… Die „helle“ Seite nutzt diese Fähigkeit um das Unternehmen und dessen Mitarbeiter zukunftsorientiert auszurichten. Die Entscheidungen solcher Führer basieren auf Werten wie Anerkennung, Fairness, Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Vertrauen… So gesehen wirkt charismatische Führung – im positiven wie im negativen Sinn.
Herzliche Grüße
Michael Mayer