17. März 2018 "Die geistige Machete"

„Neoliberalismus“ – ein umkämpfter Begriff

Vorbemerkung:
Unter der Rubrik „Die geistige Machete“ versuche ich einen Beitrag zur Klarheit und Präzision in der Verwendung aktueller Begriffe zu leisten

In meinem privaten Umfeld gibt es ein ganz weites Spektrum politischer Meinungen und das ist auch gut so. Solange der Boden des Grundgesetzes nicht verlassen wird, muss jede Position erlaubt sein. Dazu gehören auch klar „linke“ und klar „rechte“ Positionen. Hier sollten wir alle Voltaire folgen:

„Es ist klar, dass jeder, der einen Menschen, seinen Bruder, wegen dessen abweichender Meinung verfolgt, eine erbärmliche Kreatur ist.“

 

Ein guter Freund, ein überzeugter Linker, greift meine sicherlich stark ökonomisch geprägten Positionen schon einmal  als „neoliberal“ an. Und sieht meine Profession, die Volkswirtschaftslehre, als nicht „objektiv“ an, sondern „ungerechten“ gesellschaftlichen Verhältnissen einen Überbau bietetend. Da er aber die Volkswirtschaftslehre in diesem Sinne als nicht „objektiv“ betrachtet, zieht er Diskussionen über eigentlich ökonomische Themen auf die politische Ebene und beraubt sich damit der Chance, wirklich jemals etwas über VWL zu verstehen. Nun, das sieht er natürlich ganz anders 🙂

Eine uralte, aber stets aktuelle Kritik. Letztlich steht sie, oft unbewusst und nicht erkannt, im Geiste der zweifellos auf den ersten Blick hocheleganten marxistischen Theorie von „Basis und Überbau“, der zufolge es in einem kapitalistischen System u.a. eben keine objektive Wirtschaftslehre geben kann, sondern nur eine pro-kapitalistische.

Aber gemäß marxistischer Lehre eben auch in jedem anderen System und deshalb war es logisch, dass in den früheren „sozialistischen“ Ländern deren Wirtschaftslehre eben „sozialistisch“ war – passend zur ökonomischen Basis des „Volkseigentums“.

Aber ist es so einfach? Nun, das ist ein riesiges Thema.

Aus meiner Sicht ist die Volkswirtschaftslehre eine Wissenschaft wie jede andere auch: natürlich von letztlich subjektiv denkenden Menschen gemacht, aber auf der Suche nach realen Gesetzmäßigkeiten und damit im Rahmen unser menschlichen Beschränkungen „objektiv“.

Und es sind genau all jene eklatanten Verstöße gegen grundlegende volkswirtschaftliche Erkenntnisse, und damit letztlich auch Marxens fundamentale ökonomische Irrtümer (als Soziologe und Philosoph ist er m.E. wesentlich interessanter), die bisher noch jedes sozialistische Wirtschaftsexperiment und damit ganze Gesellschaften in den Ruin trieben und das m.E. auch immer wieder tun werden.

Es gibt keine „kapitalistische“ und „sozialistische“ Volkswirtschaftslehre. Es gibt nur gute und schlechte. „Sozialistische VWL“ ist schlechte VWL, auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts. Marx wäre heute weiter als seine Epigonen.

Genug zu diesem Exkurs.

 

Aber das Wort „Neoliberalismus“ ist aktuell, häufig gebraucht  und offenbar hochpolitisch, emotional aufgeladen. Die Wikipedia schreibt: „Neoliberalismus erscheint heute als wesensmäßig umstrittener Begriff “ (https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus)

 

Ein ideales Thema, um nach Klarheit der Sprache zu suchen, und bei verbleibender Unklarheit vorsichtig zu formulieren:

  1. Zunächst einmal muss klar sein, dass „Neoliberalismus“ keine ökonomische Denkschule ist, sondern eine Sammelbegriff für diverse politische Strömungen, die unter diesen Hut gepackt werden. Und zudem noch ein umkämpfter Begriff und damit politisch aufgeladen. Also ohnehin nicht gerade einer sachlichen Diskussion förderlich. Insofern geht die Gleichsetzung dieses Wortes mit einer bestimmten Konzeption der Volkswirtschaftslehre am Thema vorbei, ist unsauber.
  2. Wenn etwas als „NEO-liberal“ kategorisiert wird, dann muss es wohl etwas „ALT“- oder „KLASSISCH“-Liberales geben.Schon der Blick in die Wikipedia zeigt nun aber, wie weit und breit auch dieses Feld ist. Um es auf einen ganz kleinen gemeinsamen Nenner zu bringen, kann man diesen „klassischen Liberalismus“ als denjenigen einordnen, der für die maximale Freiheit des einzelnen stand, soziale Aspekte vernachlässigte und seine volkswirtschaftliche Schule in der klassischen Ökonomie fand, die auf dem Fundament ruhte, dass Marktwirtschaft immer funktioniert und der Staat sich vollständig heraus zu halten habe.Und sogar hier, beim Bezug auf Adam Smith, den Urvater der VWL und damit Feinbild vieler, ist es eigentlich nicht so einfach: zwar glaubte dieser daran, dass der Markt sich selbst regelt. Andererseits war Smith aber vor allem auch Moralphilosoph und alles Andere als ein kalter Mensch ohne soziales Denken. Genau zu diesem Thema entsteht derzeit eine brilliante Dissertation.Der Glaube an die einfache Sichtweise des klassischen Liberalismus´ wurde in der Großen Depression schwer erschüttert und damit geriet sowohl der politische Liberalismus wie auch seine ökonomische Denkschule unter Druck. Die neue dominierende Denkschule wurde, bis in die späten 70er Jahre des 20. Jahrhunderts,  der Keynesianismus. Aber auch dieser entwickelte sich, am Rande bemerkt, in vielen Facetten weiter und teilweise auch fort, bezogen auf die ursprünglichen Keynesschen Ideen.
  3. Der Neoliberalismus – allgemeinDer Neoliberalismus nun ist zunächst also nichts Anderes als der Sammeltopf für diverse liberale politische Strömungen, die sich nach dem Ende des klassischen Liberalismus wieder neu bildeten. Punkt.In der heutigen politischen Diskussion wird mit diesem Begriff, verwendet man ihn ablehnend, jedoch nur eine neo-liberale Strömung halbwegs zutreffend erfasst: die Untergruppe der  Chicago-School, innerhalb des angelsächsischen Teiles der Strömungen.Diese ist in der Tat sehr stark marktorientiert, bildet eine echte volkswirtschaftliche Denkschule mit umfassenden Modellen und kann als eine evolutionäre Weiterentwicklung der klassischen Ökonomie betrachtet werden.Verwandt ist mit ihr auch die ebenfalls angelsächsisch geprägte Österreichische Schule. Sie stand lange im Schatten der Chicago-Ökonomen, ist aber aktuell sehr en vogue.
  4. Der deutsche Neoliberalismus und seine korrespondierende volkswirtschaftliche DenkschuleUnd damit sind wir über die Historie und diverse Entwicklungen bei uns angekommen. Deutscher Neoliberalismus ist ganz eng verwandt mit der ökonomischen Denkschule des Ordoliberalismus und diese ist das Fundament unserer Sozialen Marktwirtschaft.Und weder dem Ordoliberalismus (Eucken, Böhm, Müller-Armack) noch dem eng verwandten soziologischen deutschen Neoliberalismus (Röpke, Rüstow) kann man „soziale Kälte“ und Unterstützung großer Konzerne oder gar Monopole vorwerfen.Ganz im Gegenteil steht deutscher Neoliberalismus für einen starken Staat, der einen fairen Wettbewerb sicher zu stellen hat. Und er steht für soziale Verantwortung – Eigentum verpflichtet, siehe unser Grundgesetz.Natürlich ist er im Kern liberal: zunächst einmal muss im möglichst freien Spiel erwirtschaft werden, was dann – DANACH – im zweiten Schritt teilweise umverteilt wird.

    Aber das wiederum ist keine politische Meinung, sondern die uralte Grunderkenntnis der VWL, vgl. den Anfang des Beitrages: ohne funktionierende Märkte gibt es keinen Wohlstand. es gibt keinen zu verteilenden Kuchen.

    Und das ist keine „politische Wissenschaft“, sondern eine ebenso empirisch wie logisch-rationale Erkenntnis.

 

Und damit zum Fazit: Neoliberalismus deutscher Prägung ist damit weder „kalt“ noch „unsozial“. Er ist die Grundlage unseres heutigen Wohlstandes.