05. Oktober 2019 Buchbesprechungen, Management

Ralf´s Reader´s Corner: „Wenn die Affen den Zoo regieren“ (2015) von Prof. Dr. Stefan Kühl

Stefan Kühl ist Professor für Soziologie, Schwerpunkt Organisationsforschung, an der Uni Bielefeld. Die Existenz dieser Stadt wurde kürzlich bestätigt, und damit auch diejenige der Universität.

Er hat eine Management-Trilogie geschrieben, die ich im Laufe der nächsten Monate hier vorstellen und besprechen werde. Den Beginn macht sein Buch „Wenn die Affen den Zoo regieren: Die Tücken der flachen Hierarchien.“

Es ist gerade auch der Untertitel, der mich neugierig machte: „Die Tücken der flachen Hierarchien.“ Haben flache Hierarchien, derzeit en vogue, auch Nachteile?

Flache Hierarchien gelten als fundamentaler Bestandteil sogenannter „Agiler Organisationen“ und diese sind derzeit das Maß aller Dinge in der Welt vieler Manager und Unternehmensberater.

Aber sind diese Konzepte wirklich neu? Oder gehören sie in bereits bekannte Konzeptionen? Und – unabhängig davon – wie theoretisch valide und praxisrelevant für die tägliche Arbeit sind diese Organisationsstrukturen?

Zur Innovationsstärke neuer Konzepte scheibt Kühl vernichtend: „DIe Innovation bei neuen postbürokratischen Organisationskonzepten liegt inzwischen fast nur noch in der Erfindung neuer Begriffe.“ (S. 10.)

Boom!

In seinem Buch folgt Kühl nicht den sich häufig ändernden Bezeichnungen für ähnliche Konzepte, sondern fasst sie in der Regel wie oben als „postbürokratische Organisationskonzepte“ zusammen. Hierunter fällt auch die derzeit hochaktuelle „Agile Organisation“.

Diese sind aus seiner Sicht eher in Nuancen unterschiedlich und können letztlich i.d.R. gemeinsam analysiert und evaluiert werden. Als verbindendes Glied sieht Kühl hier den Hang moderner Organisationskonzepte zur Dezentralisierung und Enthierarchisierung, das Arbeiten in Projektteams und teilautonomen Arbeitsgruppen.

Kühls Kritik an den aus seiner Sicht häufig unreflektiert den Konzepten folgenden Anhängern aus der Consultingbranche ist scharf: „Als Lösung vertrauen sie dann auch auf neue, modische Konzepte oder greifen zu einer Mischung aus ostasiatischer Regligionsmystik, Anlehung an pseudorationale Motivationstheorien, psychosozial orientierter Esoterik und eigener ‚Intuition‘.“

Wieder Boom!

Er sieht in allen Formen moderner Organisationskonzepte drei zentrale Problemstellungen (vgl. S. 22):
– Sicherung der Identität wandlungsorientierter Unternehmen,
– Regulierung unübersichtlicher Machtverhältnisse und
– die Frage des Umgangs mit innerer Komplexität.

Kühl ist auch der Meinung, dass sich für jeden typischen Manager trotz aller Wandlungsrhetorik der innere Antrieb nicht ändern wird: „Allem Innovations- und Flexibilitätsgerede zum Trotz bleibt es der geheime ‚Wunschtraum‘ des normal sterblichen Managers, dass sich jeder Arbeitsprozess auf ewige Zeit ökonomisch durchkalkulieren und standardisieren lässt und dadurch das Verhalten des Personals völlig bestimmbar und kontrollierbar wird.“ (S. 31)

Insbesondere ist es aus seiner Sicht auch völlig normal, dass Unternehmen in ihrer Gänze, nicht nur ihr Management, Sicherheit und Stabilität suchen, denn sie müssen strukturkonservativ sein, um sich zum Umfeld abgrenzen zu können. Ohne Abgrenzung verschwinden die Grenzen zur Umwelt und damit irgendwann das greifbare Unternehmen, so die Kühlsche Logik; aus der Systemtheorie kommend und plausibel.

Kühl seziert in seinem Buch weitere häufig vorkommende Glaubenssätze aus der Praxis.

So wird häufig geäußert, man müsse der zunehmend komplexen Umwelt mit der inneren Vereinfachung des Unternehmens entgegen treten. Genau dieser so logisch klingende Schluss ist nach Kühl ein gefährlicher Trugschluss: stattdessen müssen Organisationen den Grad ihrer inneren Komplexität erhöhen, um überhaupt noch handlungsfähig zu sein, adaptieren zu können. Denn die Schaffung neuer handlungsmöglichkeiten schafft neue interne Komplexität.

Kühl sagt also ganz klar: Komplexität ist zu handhaben, nicht zu reduzieren. Der Grad der unternehmensinternen Komplexität muss sich an denjenigen des Umfelds anpassen.

Insofern ist es logisch, dass es innerhalb der Unternehmen zu Dezentralisierung und Abbau von Hierarchien kommt, die alten funktionalen Silos werden zunehmend geschliffen. Interdisziplinäre Teams entstehen, die Probleme ganzheitlich angehen und Komplexität handhaben können. Damit jedoch wächst im Gegenzug der Grad der Komplexität.

Die Entformalisierung der Unternehmen, auch ihrer internen Kommunikationsrichtlinien führt z.B. auch dazu, dass deutlich mehr kommuniziert werde muss – und damit entstehen Komplexitätskosten, denn dieser Mehraufwand für Kommunikation fehlt in der Produktion.

A propos Kommunikation in diesen postbürokratischen Organisationen. Auch hierzu bietet Kühl eine scharfe Evaluierung: „Erfolgreiche Startegien müssen jedoch über eine solche in Organisationen sehr beliebte Sozial- und Humanprosa hinausgehen.“ (S. 72)

Weiterhin kritisiert er, dass die modernen Modelle einen (zu) hohen Anspruch haben: „Ob nun Lean Management, Flex-Firma, vielzelliges Unternehmen, fraktale Fabrik oder agile Organisation – alle Modelle spielen eine Schlüssigkeit vor und preisen allumfassende Lösungen an, die dem Außenstehenden den Atem rauben.“ (S. 78f.)

Und wieder – Boom! „A4, Treffer, versenkt!“ hieß es bei „Schiffe versenken“. So wirken Kühls rhetorische Schläge und Einschläge.

Und an diese geschlossenen Modelle glaubt er nicht, hält sie nicht für wissenschaftlich untermauert: „Wenn man jedoch der Vorderbühne – der Schauseite – der postbürokratischen Organisationen nicht vertraut, sondern deren Hinterbühne mithilfe zentraler Einsichten der Organisationswissenschaft genauer rekonstruiert, dann stößt man auf fundamentale und bisher ungelöste Probleme.“ (S. 82)

Diese Probleme analysiert Kühl in den folgenden Kapiteln des Buches sehr tief und klar. Er macht deutlich, dass naiver Glaube an das jeweils neueste buzzword nicht nur unangebracht ist , sondern auch gefährlich sein kann. Denn wenn sich Unternehmen völlig von Hierarchien abwenden, lauert die Anarchie. Menschen suchen Orientierung und schaffen sich dann ihre eigenen Unternehmen im Unternehmen, alle auf Basis ihrer individuellen Ratioanlitäten, aber nicht mehr koordiniert von einem gemeinsamen Leitbild, das erst die Abgrenzung des Unternehmens nach außen möglich macht.

Dennoch muss der Weg, so Kühl, in die Grauzonen der Instabilität gegangen werden, denn das Umfeld verlangt eine höhere Komplexität des Unternehmens.

Kühl hält das mit einer Kopplung von dezentralisierten Strukturen mit zentraler Gesamtverantwortung für grundsätzlich lösbar, warnt aber davor, dieses „Spielen auf beiden Flügeln“ zu unterschätzen. Hier sieht er die Unternehmen erst am Anfang.

Die Vereinbarkeit von dezentraler und zentraler Steuerung, gebündelt unter paradox klingenden Überschriften wie „kontrollierter Autonomie“ ist die große Herausforderung der Unternehmen im postmodernen Umfeld. (vgl. S. 153) Während das Festhalten an den tayloristisch-fordistischen Paradigmen des Industriezeitalters dem komplexen Umfeld nicht mehr gerecht wird, ist der völlige Verzicht auf sie zu Gunsten rein dezentraler und hierarchiefreier Strukturen ebenfalls ein sicherer Weg in das unternehmerische Aus; das Unternehmen verliert die Kontrolle über sich selbst.

Kühls Fazit: „Die Diskussion über neue Organisationsformen darf nicht davon ablenken, dass es für einen Sturz der hierarchischen Ordnung in Organisationen keinerlei Indizien gibt.“ (S. 157)

Eine hervorragende, augenöffnende Analyse.

Fazit: 5 von 5 Sternen