15. Oktober 2019 Politik und Gesellschaft, Reisen

Ein Gespräch im ICE

Freitag, 27. September 2019, im ICE von München nach Frankfurt-Airport.

Mir gegenüber am Vierertisch saß, wie sich nach kurzer Zeit ergab, ein amerikanischer Manager, der schon lange mit seiner Familie in Deutschland lebt. Direkt neben uns, auf der anderen Seite des schmalen Gangs, saß eine Deutsche, wie sich später herausstellt, ist sie promovierte Psychologin.

Wir fuhren in einem Zug, der nicht mal in der DB Navigator App existierte, wahrscheinlich zusätzlich wegen des Oktoberfestes eingesetzt. Allzu viele Reisende tauchten nicht auf, es war gemütlich.

Und dann wurde es eine dieser Bahnfahrten, die es sehr wohl noch gibt: wildfremde Menschen unterhalten sich angeregt miteinander und starren nicht in ihre Displays. Eine echte Bahnfahrt wie früher!

Schnell waren die typischen Themen geklärt rund um den Grund der jeweiligen Reise, gefolgt von der jeweiligen beruflichen Ausrichtung.

Und dann landeten wir tatsächlich schnell in der Politik und damit, dezeit wohl geradezu zwangsläufig, bei Donald Trump.

Nun gilt es ja generell als no go, über Politik zu smalltalken. Aber eine Bahnfahrt ist etwas Anderes als ein business smalltalk abends mit Menschen, die man zumindest teilweise wiedersieht. Was dort tabu ist, kann mit Menschen in der Bahn, deren Namen man nicht kennt und die man höchstwahrscheinlich nie wieder sieht sieht, sehr wohl diskutiert werden. Was hat man zu verlieren? Schlimmstenfalls vergräbt man sich ins Display oder geht in den Bistro-Wagen.

Die Dame verlor, trotz Doktortitel in Psychologie, sehr schnell die Contenance, als es politisch wurde. Das überraschte mich etwas. Aber für sie ist der US-Präsident ein lebendes no go, jemand, den sie auf der moralischen Ebene so stark ablehnt, dass sie gar keine Bereitschaft hat, sich auf der rein politischen mit ihm zu beschäftigen.

Und nun zur ersten Frage, die mich seitdem beschäftigt:

Ist diese Haltung „richtig“? Ist es vernünftig, den sachlichen Diskurs über jemand zu verweigern, ihn komplett abzulehnen, wenn man ihn moralisch ablehnt? Im Hinblick auf Trumps Aussagen z.B. zu und den Umgang mit Frauen ist diese Haltung intuitiv nachvollziehbar. Aber hilft sie weiter? ist das professionell?

Nun, jedenfalls zog die Dame sich schnell aus dem Gespräch in ihren Kokon zurück, hörte aber erkennbar zu. Das war im Wesentlichen auch meine Situation in der nächsten halben Stunde, da der Amerikaner sehr viel erzählte und dabei eine enorme Kenntnis der deutschen Geschichte und Politik an den Tag legte, die mich tief beeindruckte.Ich war einfach neugierig, einem offensichtlich intellektuell sehr geschulten Menschen zu lauschen.

Ihm zuzuhören, war dann ebenso faszinierend wie phasenweise auch irgendwie verstörend.

Faszinierend, weil ich eine Menge über amerikanische – und deutsche – Politik lernte und zuhören herrlich entspannend ist.

Verstörend, weil der Mann mir mit seiner ruhigen und dabei aber absolut überzeugten und sicheren Art etwas unheimlich war. Warum?

Nun, geschlossene Weltbilder, von absolut überzeugten Menschen vorgetragen, machen mich nervös.

Warum? Weil wir viel mehr nicht wissen, als wir wissen. Letztlich stochern wir in den entscheidenden Fragen immer noch im Nebel herum. Sei es bei der „Grand Unified Theory“, sei es bei den zentralen Fragen unserer Existenz.

Menschen, die diese zentrale Einsicht schon der alten Philosophen, aber auch der modernen Wissenschaft, ignorieren, machen mich nervös. Sie sind in ihrer Entwicklung blockiert und helfen dem Ganzen nicht weiter.

Aus ihrer Ignoranz wächst schnell Arroganz und dann kommt der Hochmut, der zum Fall führt. Aber eben oft zu Lasten vieler anderer.

Nun, der US-Manager war sich sehr sicher. Ich suchte deshalb auch nicht den Konflikt, die Provokation. Sondern stellte einfach kurze Fragen zur US-Politik. Das gefiel ihm offensichtlich und so offenbarte er ein wirklich gewaltiges Wissen. Vieles war mir neu, vieles davon glaubte ich ihm.

Aber diese Sicherheit, diese unerschütterliche Sicherheit…

Fragte ich ihn nach Trumps Verhaltensweisen und der phasenweise doch recht rabiaten Sprache, erklärte er mir: “ Mr. Trump stammt aus Queens/NYC, die reden dort alle so.“

„He´s from Queens, never mind.“ Aha. Hmmm….

Oder:

„Die Menschen ignorieren, was er redet, wie er redet. Sie achten auf seine Taten und diese überzeugen viele.“

Eine fremde Denkweise. Offenbart Sprache nicht auch den Charakter? Oder sind wir in Westeuropa einfach zu moralisch, zu korrekt geworden, um uns auf Fakten statt die Form zu reduzieren? Zensieren wir uns mittlerweile selbst im Kopf und erzeugen einen Tunnelblick auf die Welt? Sind wir nicht mehr zu sachlichen Konflikten fähig, weil wir zuviel und zu schnell moralisieren? Haben wir es verlernt, andere Standpunkte auszuhalten und aktiv ihren Protagonisten das Recht auf Äußerung zu gewähren?

Das ist die zweite Frage, die mich seitdem beschäftigt.

Wir diskutierten dann recht intensiv über Medien und Qualitätsmedien, über Anforderungen an gute journalistische Arbeit. Und darüber, wer denn in dieser Branche am Dichtesten an dem ist, was man allgemein als „Wahrheit“ definiert.

Nun, meine „Wahrheit“ ist stark von FAZ, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, WELT und der ZEIT, insbesondere den dortigen Pro- und Contra-Diskussionen, geprägt.

Seine „Wahrheit“ kommt aus völlig anderen Quellen: er erzählte mir von den konservativen think tanks, denen er folgt und die neben dem – ebenfalls ja recht konservativem – WSJ seine wesentlichen Quellen bilden.

Er empfahl mir insbesondere den „National Review“, eine der konservativen Plattformen.

Dazu einen Autor namens Conrad Black, der u.a. eine „etwas andere“ Trump-Biografie geschrieben hat.

Natürlich habe ich die Website mehrfach besucht, Artikel dort gelesen. Und natürlich habe ich mir das Buch von Black gekauft und lese es demnächst. Vielleicht bespreche ich es sogar hier.

Denn: Wie will ich etwas beurteilen, mit dem ich mich nicht selbst befasst habe? Dünn drüber ist keine Antwort und hilft nicht weiter.

Der Nachteil ist, dass ich etwa 500 Jahre bei maximaler geistiger Fitness und 50 Stunden lesen pro Woche leben müsste, um auch nur das Nötigste aus verschiedenen Perspektiven gelesen zu haben.

Und das bringt mich zur dritten und letzten Frage: Was ist Wahrheit?

Wer gibt mir das Recht, die „Wahrheit“, das geschlossene Weltbild, dieses sehr sympathischen, ruhigen und hochgebildeten Amerikaners als „falsch“ zu klassifizieren?

Andererseits ist eine meiner „Wahrheiten“ die, dass ich geschlossenen Weltbildern grundsätzlich misstraue, die Welt und der Mensch sind zu komplex, um mit einfachen Systemen ganzheitlich zu erfasst zu werden. Davon rücke ich nicht ab. Es ist uns einfach nicht gegeben.

Also bleibt nur die scheibchenweise Beschäftigung, aus verschiedenen Sichten, mit einzelnen Themen; gepaart mit maximaler Objektivität im Rahmen dessen, was man leisten kann.

Das ist das, was geht und den Kern von Wissenschaft ausmacht.

Dafür lese ich gerne Conrad Black und surfe mich durch den National Review. Für diesen Anstoß danke ich dem Amerikaner unbekannterweise.

Eine inspirierende Bahnfahrt war das.