Ein Gespräch im ICE
Freitag, 27. September 2019, im ICE von München nach Frankfurt-Airport.
Mir gegenüber am Vierertisch saß, wie sich nach kurzer Zeit ergab, ein amerikanischer Manager, der schon lange mit seiner Familie in Deutschland lebt. Direkt neben uns, auf der anderen Seite des schmalen Gangs, saß eine Deutsche, wie sich später herausstellt, ist sie promovierte Psychologin.
Wir fuhren in einem Zug, der nicht mal in der DB Navigator App existierte, wahrscheinlich zusätzlich wegen des Oktoberfestes eingesetzt. Allzu viele Reisende tauchten nicht auf, es war gemütlich.
Und dann wurde es eine dieser Bahnfahrten, die es sehr wohl noch gibt: wildfremde Menschen unterhalten sich angeregt miteinander und starren nicht in ihre Displays. Eine echte Bahnfahrt wie früher!
Schnell waren die typischen Themen geklärt rund um den Grund der jeweiligen Reise, gefolgt von der jeweiligen beruflichen Ausrichtung.
Und dann landeten wir tatsächlich schnell in der Politik und damit, dezeit wohl geradezu zwangsläufig, bei Donald Trump.
Nun gilt es ja generell als no go, über Politik zu smalltalken. Aber eine Bahnfahrt ist etwas Anderes als ein business smalltalk abends mit Menschen, die man zumindest teilweise wiedersieht. Was dort tabu ist, kann mit Menschen in der Bahn, deren Namen man nicht kennt und die man höchstwahrscheinlich nie wieder sieht sieht, sehr wohl diskutiert werden. Was hat man zu verlieren? Schlimmstenfalls vergräbt man sich ins Display oder geht in den Bistro-Wagen.
Die Dame verlor, trotz Doktortitel in Psychologie, sehr schnell die Contenance, als es politisch wurde. Das überraschte mich etwas. Aber für sie ist der US-Präsident ein lebendes no go, jemand, den sie auf der moralischen Ebene so stark ablehnt, dass sie gar keine Bereitschaft hat, sich auf der rein politischen mit ihm zu beschäftigen.
Und nun zur ersten Frage, die mich seitdem beschäftigt:
Ist diese Haltung „richtig“? Ist es vernünftig, den sachlichen Diskurs über jemand zu verweigern, ihn komplett abzulehnen, wenn man ihn moralisch ablehnt? Im Hinblick auf Trumps Aussagen z.B. zu und den Umgang mit Frauen ist diese Haltung intuitiv nachvollziehbar. Aber hilft sie weiter? ist das professionell?
Nun, jedenfalls zog die Dame sich schnell aus dem Gespräch in ihren Kokon zurück, hörte aber erkennbar zu. Das war im Wesentlichen auch meine Situation in der nächsten halben Stunde, da der Amerikaner sehr viel erzählte und dabei eine enorme Kenntnis der deutschen Geschichte und Politik an den Tag legte, die mich tief beeindruckte.Ich war einfach neugierig, einem offensichtlich intellektuell sehr geschulten Menschen zu lauschen.
Ihm zuzuhören, war dann ebenso faszinierend wie phasenweise auch irgendwie verstörend.
Faszinierend, weil ich eine Menge über amerikanische – und deutsche – Politik lernte und zuhören herrlich entspannend ist.
Verstörend, weil der Mann mir mit seiner ruhigen und dabei aber absolut überzeugten und sicheren Art etwas unheimlich war. Warum?
Nun, geschlossene Weltbilder, von absolut überzeugten Menschen vorgetragen, machen mich nervös.
Warum? Weil wir viel mehr nicht wissen, als wir wissen. Letztlich stochern wir in den entscheidenden Fragen immer noch im Nebel herum. Sei es bei der „Grand Unified Theory“, sei es bei den zentralen Fragen unserer Existenz.
Menschen, die diese zentrale Einsicht schon der alten Philosophen, aber auch der modernen Wissenschaft, ignorieren, machen mich nervös. Sie sind in ihrer Entwicklung blockiert und helfen dem Ganzen nicht weiter.
Aus ihrer Ignoranz wächst schnell Arroganz und dann kommt der Hochmut, der zum Fall führt. Aber eben oft zu Lasten vieler anderer.
Nun, der US-Manager war sich sehr sicher. Ich suchte deshalb auch nicht den Konflikt, die Provokation. Sondern stellte einfach kurze Fragen zur US-Politik. Das gefiel ihm offensichtlich und so offenbarte er ein wirklich gewaltiges Wissen. Vieles war mir neu, vieles davon glaubte ich ihm.
Aber diese Sicherheit, diese unerschütterliche Sicherheit…
Fragte ich ihn nach Trumps Verhaltensweisen und der phasenweise doch recht rabiaten Sprache, erklärte er mir: “ Mr. Trump stammt aus Queens/NYC, die reden dort alle so.“
„He´s from Queens, never mind.“ Aha. Hmmm….
Oder:
„Die Menschen ignorieren, was er redet, wie er redet. Sie achten auf seine Taten und diese überzeugen viele.“
Eine fremde Denkweise. Offenbart Sprache nicht auch den Charakter? Oder sind wir in Westeuropa einfach zu moralisch, zu korrekt geworden, um uns auf Fakten statt die Form zu reduzieren? Zensieren wir uns mittlerweile selbst im Kopf und erzeugen einen Tunnelblick auf die Welt? Sind wir nicht mehr zu sachlichen Konflikten fähig, weil wir zuviel und zu schnell moralisieren? Haben wir es verlernt, andere Standpunkte auszuhalten und aktiv ihren Protagonisten das Recht auf Äußerung zu gewähren?
Das ist die zweite Frage, die mich seitdem beschäftigt.
Wir diskutierten dann recht intensiv über Medien und Qualitätsmedien, über Anforderungen an gute journalistische Arbeit. Und darüber, wer denn in dieser Branche am Dichtesten an dem ist, was man allgemein als „Wahrheit“ definiert.
Nun, meine „Wahrheit“ ist stark von FAZ, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, WELT und der ZEIT, insbesondere den dortigen Pro- und Contra-Diskussionen, geprägt.
Seine „Wahrheit“ kommt aus völlig anderen Quellen: er erzählte mir von den konservativen think tanks, denen er folgt und die neben dem – ebenfalls ja recht konservativem – WSJ seine wesentlichen Quellen bilden.
Er empfahl mir insbesondere den „National Review“, eine der konservativen Plattformen.
Dazu einen Autor namens Conrad Black, der u.a. eine „etwas andere“ Trump-Biografie geschrieben hat.
Natürlich habe ich die Website mehrfach besucht, Artikel dort gelesen. Und natürlich habe ich mir das Buch von Black gekauft und lese es demnächst. Vielleicht bespreche ich es sogar hier.
Denn: Wie will ich etwas beurteilen, mit dem ich mich nicht selbst befasst habe? Dünn drüber ist keine Antwort und hilft nicht weiter.
Der Nachteil ist, dass ich etwa 500 Jahre bei maximaler geistiger Fitness und 50 Stunden lesen pro Woche leben müsste, um auch nur das Nötigste aus verschiedenen Perspektiven gelesen zu haben.
Und das bringt mich zur dritten und letzten Frage: Was ist Wahrheit?
Wer gibt mir das Recht, die „Wahrheit“, das geschlossene Weltbild, dieses sehr sympathischen, ruhigen und hochgebildeten Amerikaners als „falsch“ zu klassifizieren?
Andererseits ist eine meiner „Wahrheiten“ die, dass ich geschlossenen Weltbildern grundsätzlich misstraue, die Welt und der Mensch sind zu komplex, um mit einfachen Systemen ganzheitlich zu erfasst zu werden. Davon rücke ich nicht ab. Es ist uns einfach nicht gegeben.
Also bleibt nur die scheibchenweise Beschäftigung, aus verschiedenen Sichten, mit einzelnen Themen; gepaart mit maximaler Objektivität im Rahmen dessen, was man leisten kann.
Das ist das, was geht und den Kern von Wissenschaft ausmacht.
Dafür lese ich gerne Conrad Black und surfe mich durch den National Review. Für diesen Anstoß danke ich dem Amerikaner unbekannterweise.
Eine inspirierende Bahnfahrt war das.
Teilen Sie diesen Artikel
Matthias Müller
am 23. October 2019 um 21:31 Uhr
Was ist die Wahrheit?
Eine Frage, die wohl jeden irgendwie beschäftigt. Doch vielleicht liegt die Wahrheit ja auch einfach genau darin, dass es keine allgemeingültige Wahrheit gibt.
Wie auch Herr Schmittberger schon so schön gesagt hat: „Wir laufen da zumeist auf Autopilot“. Wahrheit entsteht wohl einzig und allein in unserem Kopf. Wie sollte es also eine grundsätzliche Wahrheit geben, wenn wir nur Bruchteile von allem wahrnehmen, verarbeiten und verstehen können, das in unserer Welt und darüber hinaus geschieht?
Selbst nach 500 Jahren Lebenszeit bei voller Vitalität und 50 Stunden Lesezeit pro Woche, glaube ich, dass uns nur noch bewusster würde, wie weit wir von einer allgemeingültigen Wahrheit entfernt sind.
Eine wirklich philosophische Fragestellung mit einer spannenden Herleitung. Was doch für tiefgründige Fragen entstehen können, wenn man seine Zeit mit seinen Mitmenschen und nicht nur seinem Display teilt.
Dr. Ralf Kölbach
am 23. October 2019 um 22:33 Uhr
Hallo Herr Müller,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Es ist erstaunlich, welche Resonanz dieser kleine Bericht aus dem ICE ausgelöst hat – mittlerweile sind es fast 4.000 Abrufe. Politik bewegt. Die Suche nach „Wahrheit“ bewegt. Und ich bin bei Ihnen: Je mehr wir wissen, desto deutlicher wird uns unsere Begrenztheit. Aber alleine diese Demut zu erlernen, macht doch das Studium guter Quellen lohnend. Und nichts ersetzt aktives Zuhören und echte Diskussion Auge in Auge.
Thomas Ball
am 17. October 2019 um 17:46 Uhr
Ich kann Ihre Faszination gut nachvollziehen. Es geht mir regelmäßig auch so, wenn ich fundierte andere Meinungen höre und diskutiere. Auch finde ich es sehr wichtig, zwischen Habitus und Politik zu differenzieren. Das heißt aber nicht, alles zu verzeihen – oder zu entschuldigen.
Wahrheiten in dem Sinne gibt es ja bekanntlich nicht. Es gibt Fakten und Interpretationen/Meinungen – wie gut begründet sie auch sein mögen. Alle Bedeutungszusammenhänge sind letztlich Interpretationen. Manche sind zulässig, weil sie ausreichend begründet sind, andere sind es nicht. Darüber lohnt es zu diskutieren.
Kontroverse Meinungen können auch artikuliert werden ohne zu beleidigen und zu verfälschen oder bewusst zu lügen. Das ist keine Frage von Elite und breiter Bevölkerung, sondern des gegenseitigen Respekts. Das gleiche gilt hierzulande für die AfD: Die Rhetorik vieler Protagonisten steht einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Inhalten entgegen. Am Ende läuft Sprache à la Trump, Höcke, Poggenburg, Gauland, Le Pen, Tommy Robinson, Milo Yiannopolous und den vielen anderen auf eine Legitimierung des Rechts der Stärkeren hinaus. Und dem kann und will ich nicht zustimmen. Am Ende ist es ja gerade die „Erfolgsmasche“ der vorgenannten, Inhalte dem vorher feststehenden Ziel unterzuordnen und beliebig zu wechseln. Weil das Ziel immer ähnlich ist: Ich/wir wollen und lassen andere Interessen unberücksichtigt.
Ich beschäftige mich seit längerem mit dem Diskurs in den USA aber auch Großbritannien. Erhellend war weniger die oft mit politischer Agenda verfassten Kolumnen und Papiere zu lesen, sondern die Arbeiten derjenigen, die sich abseits der Tagespolitik mit der öffentlichen Debatte befassen. Zu den USA fallen mir Klassiker wie Alexis de Tocqueville, Schlesingers Zyklen oder Howard Zinn ein – unter vielen anderen. Im Atlantic oder New Yorker habe ich ebenfalls spannende, verstehende, Beiträge gelesen. Auf Breitbart, Drudge Report, Fox News, InfoWars und ähnlichen genau so wenig wie auf den Meinungsblättern der Liberalen.
Dr. Ralf Kölbach
am 23. October 2019 um 22:30 Uhr
Hallo Herr Ball,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Besonders interessant an Ihren differenzierten Erläuterungen finde ich Ihre Hinweise auf anspruchsvolle und fundierte Hintergrundliteratur – klasse!
Günter Schmittberger
am 17. October 2019 um 15:31 Uhr
Mir gingen mehrere Dinge durch den Kopf, als ich diesen Beitrag las.
1. Gret Haller, mit der ich mich im Zug intensiv darüber unterhielt, warum es so viele Missverständnisse zwischen Amerikanern und Europäern gibt.
– Sie hat Bücher zu dem Thema geschrieben: http://www.grethaller.ch
2. Martin Permantier, Autor von „Haltung Entscheidet“, hier der link zu einem Englisch sprachigen Vortrag zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=oJPHkGhzZYk
3. Ja, Wahrheit ist eine große Sache: Für jeden einzelnen Menschen ist das, was sich in seinem Kopf abspielt näher als alle Wirklichkeit da draußen. Aber von dem was sich in meinem Kopf abspielt, ist mir nur ein ganz kleiner Teil bewusst. Der größte Teil spielt sich im Unterbewusstsein ab. Wir laufen da zumeist auf Autopilot. Das ist gut und notwendig, kann uns aber derweil auch sehr in Bedrängnis bringen.
Dr. Ralf Kölbach
am 23. October 2019 um 22:26 Uhr
Hallo Herr Schmittberger,
vielen Dank für Ihren Kommentar! ja, ohne den buchstäblich Energie sparenden Autopiloten würde unser Gehirn wohl Unmengen von Energie verbrennen. Aber manchmal führt er uns auch fürcherlich hinter die Fichte. „Wahrheit“ ist letztlich oft nicht mehr eine so definierte individuelle Wahrnehmung. Und „normal“ bzw. „gesund“ sind diejenigen, deren Wahrnehmung sich in einer Bandbreite mit derjenigen der Mehrheit befindet.
Danke für die Lesetipps!