Corona Economics 4: Zwischenbericht per September 2020
Eine (annähernd) V-förmige Erholung oder langfristige Stagnation – wo geht die Reise hin?
Die ökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind weiterhin gravierend. Nach zwei Quartalen mit relativ zum Vorquartal gesunkener Wirtschaftsleistung (gemessen im realen, also preisbereinigten, BIP) ist die Definition einer Rezession erfüllt. Die Wirtschaftsleistung brach im zweiten Quartal relativ zum Vorquartal um annähernd 10% ein. Voraussichtlich frühestens zum Ende des Jahres 2021 wird eine wirtschaftliche Aktivität auf dem Niveau von 2019 erwartet.
Einerseits.
Die Wirtschaft brach im zweiten Quartal nicht so stark ein wie befürchtet und derzeit erscheint es realistisch, dass der Einbruch des realen BIP im Jahresdurchschnitt 2020 relativ zu 2019 nicht deutlich größer als während der Finanzkrise ist, sondern sogar etwas geringer. Demzufolge wäre die aktuelle Rezession in dieser Betrachtung nicht zwischen der „Great Recession“ (Finanzkrise) und der „Great Depression“ (Weltwirtschaftskrise ab 1929) einzuordnen, sondern „nur“ fast so schlimm wie die Finanzkrise. Die aktuelle Form der wirtschaftlichen Erholung entspricht visualisiert zwar nicht der gewünschten V-förmigen Erholung, aber sie ist dieser näher als einem „U“ mit längerer Talsohle, einem „W“ mit zweitem Einbruch oder gar einem „L“ mit langer Stagnation in der Talsohle.
Andererseits.
Welche Sichtweise ist nun „wahr“?
Beide.
Der wirtschaftliche Einbruch gehört zu den stärksten, die es bisher gab. Jedoch ist er (zumindest bisher) nicht so tief geworden, wie es zeitweise befürchtet wurde. Gleichzeitig folgt die Erholung in Deutschland bisher – zeitverzögert – in etwa der Erholung der Börsen, wenn es im dritten Quartal zur erwarteten deutlichen Steigerung der wirtschaftlichen Aktivität um etwa 3% käme.
Warum ist eine recht schnelle Erholung, die visualisiert bisher in etwa einem Hockeystick bzw. dem Logo eines bekannten Sportartikelherstellers entspricht, möglich?
Ursächlich ist hierfür unter anderem, dass der Konjunktureinbruch letztlich die Folge eines politisch gewollter simultaner Angebots- und Nachfrageschocks war. Weder das Produktionspotenzial, noch das Potenzial der Nachfrage wurde als Folge einer zyklischen Entwicklung oder weltweiten Wirtschaftsschwäche verringert. Mit der sukzessiven Lockerung der restriktiven Maßnahmen konnten beide Marktseiten ihre Aktivitäten wieder zunehmend aufnehmen.
Ist also alles gut und die Welt nach dem Abflauen der Pandemie-bedingten Einschränkungen wie vorher?
Aus zwei Gründen mit Sicherheit nicht:
- Die zur Bekämpfung der Krise massiv gestiegene weltweite Staatsverschuldung hat insgesamt neue, oft geradezu astronomische Höhen erreicht. Diese Verschuldungssituation kann nur in einem Umfeld niedrigster Zinsen verkraftet werden. Ihr Abbau verlangt entweder enorme Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen; massive Inflationierung zwecks Entwertung der Schulden oder ein massives Wirtschaftswachstum, das zu deutlichen Steuer-Mehreinnahmen führt. Die andauernde Niedrig- bzw. Nullzinsphase setzt die pathologische Situation einer de facto Außerkraftsetzung des Zinses als Preis für Geld auf unbestimmte Zeit fort. Die Folge ist ein „Schrecken ohne Ende“, da weder die Staatsfinanzen sukzessive saniert werden, noch im Normalfall unrentable Unternehmen vom Markt verschwinden.
- Der mit der Krise weiter zunehmende weltweite Protektionismus führt über die Aufgabe nationaler Spezialisierungsvorteile zu weltweiten Wohlstandsverlusten – teure Eigenproduktion zu Lasten des Imports günstigerer Angebote aus anderen Ländern reduziert die Kaufkraft und damit den Wohlstand. Gleichzeitig werden die sich entwickelnden Länder massiv zurückgeworfen in ihrer Aufholjagd, da ihre Exportbasis zusammenbricht. Weniger internationale Arbeitsteilung bedeutet insgesamt weniger Wohlstand für alle. Sie bedeutet auch weniger Sicherheit, denn wirtschaftliche Abhängigkeiten lassen militärische Konflikte unwahrscheinlicher werden. Wo gehandelt wird, wird nicht geschossen.
Was also ist zu tun?
- Die Schulden von heute sind grundsätzlich die Steuern und damit auch Konsumeinbußen von morgen. Die verfügbaren Einkommen werden ceteris paribus sinken. Je höher der „Deckel“, desto größer der Kater in der Zukunft. Undifferenziertes Schuldenmachen für konsumtive Zwecke heute belastet die zukünftigen Generationen massiv. Keynesianische Politik ist, klug eingesetzt, wirksame kurzfristige Stabilisierungspolitik. Sie wurde sehr erfolgreich in der Finanzkrise und auch jetzt wieder eingesetzt. Schulden sind auch nicht grundsätzlich „schlecht“; insbesondere dann nicht, wenn sie für zukunftsorientierte Projekte (Bildung, Infrastruktur etc,.) aufgenommen wurden. Gerade auch in Deutschland besteht die Möglichkeit einer temporär höheren Verschuldung, da insgesamt relativ gut gewirtschaftet wurde.
Das Problem ist jedoch, dass die Verschuldung eben nicht unbegrenzt fortgesetzt werden kann. Es gibt auch hier kein Perpetuum Mobile. Irgendwann ist das Vertrauen in ein Land zerstört; Staatsbankrotte sind reale erscheinungen.Nachfragepolitik muss also zum richtigen Zeitpunkt von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zur Revitalisierung der unternehmerischen Basis ergänzt und dann abgelöst werden.
Nachfragepolitik ermöglicht, Einbrüche abzufedern. Angebotspolitik führt danach zurück auf soldide Wachstumspfade.
Es kommt immer darauf an, die wirtschaftspolitische Toolbox kontextadäquat einzusetzen.
- Eine Rücknahme des Freihandels und der internationalen Arbeitsteilung ist Gift gerade für die schwächsten Länder. Eine Rückverlagerung bestimmter Produktionszweige (z.B. kritische Medikamente) ist aus Sicherheitsüberlegungen nachvollziehbar. Sie muss aber auf das notwendige Maß beschränkt bleiben, da ansonsten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
Es scheint in nicht unwesentlichen Teilen der Politik und öffentlichen Meinung leider immer noch zumindest partiell unverstanden, dass Freihandel nicht Versklavung, sondern Entwicklungschance für ärmere Länder bedeutet. Natürlich nur dann, wenn sich die reichen Länder nicht gegen den Import aus den anderen Ländern abschotten – echter Freihandel im Sinne David Ricardos eben.
Insgesamt dürfen in der Erholungsphase somit die marktwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht aus den Augen verloren werden, da ansonsten die Gefahr einer langfristigen Stagnation mit kaum abbaubarer Verschuldung droht.
Es war, ist und bleibt so: nur das kann im Sekundärkreislauf verteilt werden, das im Primärkreislauf erwirtschaftet wurde. Und Vermögen wird nachhaltig nur mittels gesunder unternehmerischer Strukturen erzeugt.
Die Welt muss zurück auf einen Wachstumspfad, der aber natürlich ein ökologisch sinnvoller und sozial akzeptabler sein muss. Was nützt uns ein massives BIP-Wachstum, wenn der Planet abbrennt und eine groteske soziale Ungleichheit irgendwann die Gesellschaften zerreißt?
Diese Frage der Bestimmung der „richtigen“ Messgröße für den Wohlstand ist jedoch eine eigene. So unvollständig das BIP las zentrale Kennziffer sein mag; derzeit gibt es noch keine andere allgemein akzeptierte.
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Herbert W. Richard
am 22. September 2020 um 23:24 Uhr
Eine hervorragende Analyse mit interessanten Handlungsszenarien!
Dr. Ralf Kölbach
am 23. September 2020 um 06:58 Uhr
Lieber Herr Richard,
herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte! Es freut mich, dass Ihnen der Artikel zusagt. Diese Reihe kleiner volkswirtschaftlicher Beiträge ist für ein breites volkswirtschaftlich interessiertes Publikum gedacht. Ich versuche, anhand der Corona-Situation volkswirtschaftliche Themen und volkswirtschaftliches Denken gut zugänglich zu machen. Wohl wissend, dass das aus Sicht mancher schon zu theoretisch ist; und aus Sicht anderer nicht wissenschaftlich genug.
Beste Grüße,
Ralf Kölbach