20. Oktober 2018 Volkswirtschaftslehre

Geld und Geldtheorie – Silvio Gesells „Schwundgeld“

Im Beitrag „Geld und Geldtheorie – eine Sphinx“ ging ich auf ein Randthema ein, das mir erst kürzlich zum ersten Mal über den Weg lief: Silvio Gesells Konzept des „Schwundgeldes“. Darauf angesprochen, lächelte ich zunächst nur milde und wischte das Thema höflich beiseite – „Voodoo-VWl, unwissenschaftliches Zeug“ schoss es mir durch den Kopf.

Meine streng mathematische Prägung in der Studienzeit verträgt sich ad hoc nicht so gut mit derartig bunten Vögeln wie Gesell und ihren stark normativ geprägten Ideen.

Dann wurde mir klar, das es zumindest eine ernsthafte Betrachtung wert ist, da sogar der große John Maynard Keynes es nicht einfach zur Seite wischte und in seiner „General Theory“ durchaus mit Respekt darauf einging.

Zeit, sich damit zu beschäftigen, vorurteilsfrei.

Zunächst: Wer war eigentlich dieser Herr Gesell und worum ging es ihm?

Silvio Gesell (1862-1930) war laut Wikipedia „ein deutscher Kaufmann, Finanztheoretiker, Sozialreformer und Begründer der Freiwirtschaftslehre.“ Der tatsächliche Lebenslauf war dann noch viel bunter, als es schon diese breite inhaltliche Aufstellung vermuten lässt.

Man kann ihn politisch wohl am Ehesten als ziemlich idealistischen Sozialisten bezeichnen (teilweise Proudhon nahestehend) , aber letztlich war er m.E. ein Nonkonformist, der seine eigenen Ideen hatte, die ihn nicht so einfach verortbar bzw. in Muster pressen lassen.

Marktwirtschaftliche Gedanken waren ihm keineswegs fremd.

Für diesen Artikel interessant ist jedoch ausschließlich ist sein Beitrag zur Geldtheorie, der durchaus bemerkenswert  ist und heutzutage wieder zunehmend Beachtung findet.

Seine Grundidee ist, dass Geld nicht die ihm gemäß klassischer Theorie und der damit verbundenen Triade der Geldfunktionen zustehende Funktion als Wertaufbewahrungsmittel ausüben soll (die anderen beiden Funktionen sind Recheneinheit und Tauschmittel).

Wertaufbewahrung ist für Gesell Hortung und Hortung lähme die Wirtschaft, so Gesell: Entweder warte der Besitzer zu lange auf weiter fallende Preise – hier zeigt Gesell seine Angst vor (monetären) deflationären Entwicklungen, die er offenbar immer gekoppelt sieht an (realwirtschaftliche) Depressionen. Oder der Geldeigentümer sei vom (zu hohen bzw. erwartet höheren) Zins angezogen und gebe deshalb nichts aus. Mit dem gleichen realwirtschaftlichen Effekt eines zu geringen Ausgabeverhaltens.

Da Geld (insbesondere Münzgeld) nicht verdirbt, sieht Gesell somit die Gefahr, dass die Geldbesitzer in Erwartung noch billigerer Waren oder steigender Zinsen ihr Geld einfach zurückbehalten, also horten, und dadurch den Wirtschaftskreislauf stören.

Für ihn ist der Geldbesitzer damit in einer zu starken Position hinsichtlich des Einflusses auf die Realwirtschaft und es gibt aus Gesells Sicht keinen fairen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage.

Um dieses für die Realwirtschaft gefährliche Horten zu unterbinden, schlägt Gesell vor, dass auch das Geld, wie andere Waren, im Zeitablauf eine Wertminderung erfahren muss. Dadurch, so Gesell, wird Geld nicht gehortet, sondern weitergegeben und der Wirtschaftskreislauf funktioniert wieder.

Gesell selbst nannte sein Geld übrigens „Freigeld“, der Begriff „Schwundgeld“ stammt nicht von ihm.

Um das Geld nun aber dergestalt modifizieren können, dass es erkennbar an Wert verliert, schlug er Papiergeld statt Münzgeld vor. Und dieses Papiergeld sollte dann einen Vermerk tragen hinsichtlich seiner Wertminderung im Zeitablauf bzw. seines Ablaufdatums.

Damit wollte er sein Ziel erreichen, dass das Zinsniveau gedrückt wird, da es ein starkes Kapitalangebot für die Wirtschaft gebe.  Damit wiederum prosperiere die Wirtschaft und im Nebengang werde auch die soziale Frage gelöst. Diese Schlussfolgerung zeigt auf, dass er in der Tat sowohl grundsätzlich Unternehmertum für notwendig hielt wie auch die soziale Frage für dringend lösungsbedürftig.

Sind Gesells geldtheoretische Überlegungen aus heutiger Sicht nun obsolet oder baut doch auch und sogar der aktuelle Mainstream in der Wirtschaft (und in der theoretischen und praktiziertenVWL) auf ihn irgendwie auf?

Nun, letzteres!

Stanley Fischer, einer der bekanntesten US-amerikanischen Volkswirte, erklärte Gesell im Jahre 2016 zu einem der wesentlichen Vordenker solcher Themen wie „Negativzinsen“ bzw. der Besteuerung des Geldes.

Denn wenn über Negativzinsen der Wert des Geldes reduziert wird, ist das letztlich eine ähnliche Grundidee wie Gesells wertmindernde Vermerke auf den Papiergeldscheinen.

Der Unterschied besteht jedoch darin, dass sich Gesell auf die Wertminderung des umlaufenden Bargeldes (Scheine) fokussiert, während in der modernen Welt Negativzinsen für gewerbliche Konten die Geldanlage (Einlagen bei der Bank; also Buchgeld) de facto besteuern. Jedoch sorgt die in modernen Volkswirtschaften leichte, aber de facto stetige, Inflation dafür, dass private Einlagen (Nullzinsen) und auch umlaufendes Bargeld in der modernen Wirtschaft systematisch an Wert verlieren.

Damit sind die Gedankengebäude durchaus ähnlich.

Somit ist Silvio Gesell tatsächlich, wenn auch selten so offen angeführt, ein nicht unwesentliches Kleinod in der Schatzkammer  volkswirtschaftlicher (Vor-)  Denker.

Und das hatte ich, vor der etwas intensiveren Beschäftigung mit seinem „Schwundgeld“, nun wirklich nicht erwartet.

Gesell – ein hochinteressanter Quer- und Vordenker!