Globalisierung – Fluch oder Segen?
„Globalisierung“ ist ein zunehmend negativ belegtes Schlagwort geworden, mit dem Kritiker, keineswegs nur von den Rändern des politischen Spektrums, auf die Schattenseiten des weltweiten Freihandels hinweisen wollen. Sie sehen in freien Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten primär eine Bedrohung und mehr Nachteile als Vorteile für die jeweilige Gesellschaft.
Zunächst einmal ist der Begriff „Globalisierung“, so wie er, oft hochemotional, verwendet wird, ein irreführender und völlig unscharfer Begriff.
In einem Wörterbuch wird das Wort so definiert: „der Vorgang, dass vor allem wirtschaftliche Fragen nicht mehr nur innerhalb eines Landes relevant sind, sondern eine weltweite Ausdehnung bekommen.“
Hiermit kann man sich schon eher beschäftigen. Aber gleichzeitig ist der so oft geradezu wie ein Fluch durch die Luft geschleuderte Begriff gründlich entzaubert.
Aus Sicht des Volkswirtes geht es im Wesentlichen um nicht mehr und nicht weniger – als Freihandel zwischen den Nationen.
Wirtschaftliche Fragen sind schon lange nicht mehr nur innerhalb eines Landes relevant, sondern seit Urzeiten auch Thema des grenzüberschreitenden Güter- und Warenverkehrs. Der Umfang des Freihandels wiederum schwankte stets.
Aber eines galt immer: Wenn Nationen miteinander handeln, bekriegen sie sich nicht. Und wenn der Handel versiegte, waren die Kanonen nie weit weg.
Seit den 90er Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, öffneten sich die Staaten zunehmend und eine neue Blütezeit des Freihandels begann. Was hat sie gebracht, wenn man sich dem Thema objektiv nähert?
Die Wahrheit ist, dass die Öffnung der Märkte das Ausmaß an Armut in der Welt ebenso massiv reduziert hat wie jenes des Analphetentums und des Hungers. In den noch armen, aber aufstrebenden Staaten sind hunderte Millionen Menschen schon in sich neu bildenden Mittelschichten angekommen und es werden immer mehr.
Derartige Wahrheiten machen aber nicht viele Schlagzeilen, leider.
Handel verhindert Krieg. Frieden gibt Stabilität. Stabilität lässt stabile Institutionen gedeihen. Stabile Institutionen und Rechtssysteme sind die Grundlage für Unternehmertum und damit des Wohlstandes. Uralte Kausalketten, so alt wie die Menschheit.
David Ricardo analysierte die Vorteile des Freihandels am Beispiel zweier Länder (England und Portugal) schon Anfang des 19. Jahrhunderts. Sein Theorem der komparativen Kostenvorteile war bahnbrechend und eine Grundlage für die gesamte spätere sich stürmisch entwickelte Theorie des Außenhandels innerhalb der Volkswirtschaftslehre.
So weit, so gut.
Aber dennoch läuft erkennbar etwas schief – und zwar in den hochentwickelten Ländern: hier geht einerseits die Vermögens-Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Schlimmer noch und potenziell Sprengstoff für jede Gesellschaft: Fast unbegrenzten beruflichen Perspektiven für hochqualifizierte Wissensarbeiter stehen geringe Reallohnzuwächse und immer häufiger auch Zukunftsängste vieler Arbeiter und Angestellter gegenüber – obwohl es objektiv auch für sie fast Vollbeschäftigung gibt.
Hat die Volkswirtschaftslehre also etwas übersehen, bei Ricardo angefangen? Gibt es Denkfehler? Flieht die Berufsperspektive der Arbeiter ins Ausland?
Nun, in Ricardos Beispiel geht es um die Herstellung von Wein einerseits und die von Tuch andererseits. Beide Länder verfügen über Arbeiter, die sowohl das eine wie das andere leisten können.
Somit sind die Arbeitskräfte der Ricardo-Welt im Sinne ihrer „Skills“ mobil, haben die Qualifikation für das eine wie für das andere.
Aber das sieht in den modernen westlichen Staaten anders aus: einfache Tätigkeiten, die in Drittländern ökonomischer bewältigt werden können, sind weg und es kommen keine anderen einfachen Tätigkeiten zurück. Es geht nicht mehr um „Wein“ gegen „Tuch“. Das ist die eine Seite des Problemes: arbeiter, die nicht weiter gebildet werden, sind die Verlierer.
Aber noch viel stärker ist der Effekt, dass diese Tätigkeiten – statt in andere Länder verlagert zu werden – zunehmend komplett von Software und Maschinen übernommen werden.
Arbeitern und Angestellten in Tätigkeiten, die der Digitalisierung zum Opfer fallen werden, müssen also Perspektiven aufgezeigt werden. Der Weg ist wie immer Qualifikation über Bildung. Die Weiterentwicklung der KI schafft wunderbare Möglichkeiten, Menschen von schweren, eintönigen Arbeiten zu befreien und sie in neue Arbeitswelten zu entwickeln.
Somit ist das Problem nicht ein Denkfehler der Außenhandelstheorie, fußend bei Ricardo. Es ist vielmehr eine neue Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung, die begonnen hat.
Und die riesige Chancen bietet. Menschen müssen nicht mehr ein Arbeitsleben lang eintönig und körperlich belastend arbeiten – Kollege Roboter wird es möglich machen.
Risiken? Natürlich. Chancen? Gewaltig!
Ricardo darf also sagen: „Don´t shoot me, I´m only the Piano Player.“
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Kai Geisslreither
am 22. January 2018 um 18:56 Uhr
Spannender Artikel! Mit der traditionellen Außenhandelstheorie lässt sich ganz vieles von dem erklären, was derzeit in der Welt passiert. In Ricardos Sprache wirkt die Digitalisierung wie der Eintritt eines neuen Landes in den Produktionswettbewerb. Dieses neue Land hat niedrigere und immer weiter sinkende Produktionskosten (die Maschinen werden ja immer billiger und effizienter).
Traditionelle Arbeitskräfte könnten diesen Preiswettbewerb nur durch immer weiter sinkende Löhne gewinnen. Das zeigt sich z.B. in der Realität daran, dass in Deutschland die Reallöhne der Bezieher niedriger Einkommen in den letzten 20 Jahren trotz hervorragender gesamtwirtschaftlicher Entwicklung nicht gewachsen sind. Viele schieben das auf den „Kapitalismus“ oder „Neoliberalismus“, in Wahrheit sind aber China und die Digitalisierung dafür verantwortlich.
Das spüren heute schon Facharbeiter und Bankangestellte, zukünftig aber auch Controller, Ärzte und Apotheker. Volkswirtschaftlich betrachtet ist die Entwicklung jedoch gut – trotz weniger Arbeitseinsatz steigt ja die Wertschöpfung. Es handelt sich also um ein Verteilungsproblem.
Was jedoch in Politik und Wirtschaftstheorie fehlt, ist ein Modell für eine Aufteilung der Wertschöpfungsgewinne bei immer weiter abschmelzenden Arbeitseinkommen. Was da mal kommen mag, können wir nur mutmaßen. Eine Robotersteuer? Das bedingungslose Grundeinkommen? Wer weiß. Brexit und Abschottung lösen das Problem aber sicher nicht.
Dr. Ralf Kölbach
am 22. January 2018 um 20:50 Uhr
Präzise Ausführungen, vielen Dank! Es ist m.E. aber nicht nur ein Verteilungsproblem. Vielmehr müssen die Menschen für die neuen Arbeitsplätze qualifiziert werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es, wie bei jeder technischen Revolution, viele neue Arbeitsplätze gibt. Das war immer so und wir mögen diese neuen Jobs heute noch nicht als massenhafte Ablösung der alten erkennen. Aber sie werden entstehen. Viele Millionen Menschen ohne Jobs? Undenkbar. Das wäre auch nicht durch Verteilung lösbar. Unbezahlbar, ineffizient und gesellschaftlicher Sprengstoff. Menschen wollen arbeiten, suchen Sinn. Sie wollen nicht als gebückte Transferempfänger enden.
Eine schöpferische Zerstörung a la Schumpeter schafft neue Märkte, Produkte und Arbeitsplätze.
Das wird auch dieses Mal funktionieren.
Sascha Böhr
am 20. January 2018 um 13:07 Uhr
Vielen Dank für den interessanten Artikel und ein riesen Kompliment für die Webseite.
Dr. Ralf Kölbach
am 20. January 2018 um 13:11 Uhr
Herzlichen Dank! Der Artikel soll zur durchaus kontroversen Diskussion anregen, weil es letztlich die Globalisierung mit ihrem ökonomischen Kern Freihandel ist, die so vieles verändert und die Menschen bewegt, oft auch verängstigt. Die Website hätte ich ohne Profis nie hingekriegt.
Oliver Müller
am 18. January 2018 um 12:42 Uhr
Ein sehr lesenswerter Beitrag zu einer Debatte, deren Blick momentan leider nur sehr selten in Richtung der großen Errungenschaften schweift, die durch Freihandel und Globalisierung erst ermöglicht wurden.Ohne die damit einhergehenden Probleme und Rüchschläge zu leugnen, so zeigt uns doch gerade die Erfahrungen der Vergangenheit,dass es sich lohnt optimitisch in die Zukunft zu blicken.
Dr. Ralf Kölbach
am 19. January 2018 um 21:39 Uhr
Vielen Dank für Ihr Feedback. Das Problem ist einerseits, dass gute Nachrichten, die sich oft weit weg entfalten, wie z.B. der Wohlstandsanstieg in Asien und der Rückgang des Hungers in Afrika, nicht interessant sind für die Medien hier bei uns. Und andererseits dürfen wir nicht diejenigen bei uns vergessen, deren Tätigkeiten nach weit weg verlagert wurden und für die es schlicht und einfach keine ähnlichen Tätigkeiten mehr gibt. Diese Menschen zu Verlierern des Freihandels werden zu lassen, ist Kerosin für glimmende Wut aus (verständlicher) Enttäuschung. Um diese Menschen und deren Perspektiven muss sich gekümmert werden, damit auch sie optimistisch nach vorne schauen können. Wenn die Gesellschaft ihre Kohärenz verliert, steht auch der Freihandel in Frage. Das passiert derzeit in vielen Ländern. Und führt zunehmend zur bekannt unzulänglichen Antwort Abschottung. Im UK fehlen doch jetzt schon tausende ausländischer Arbeitskräfte. Isolationismus ist zuerst kostspielig und zuletzt den Frieden gefährdend. Wo es keinen Austuach mehr gibt, gibt es irgendwann Kanonen.
Michael Schulze Heuling
am 18. January 2018 um 10:09 Uhr
Ein sehr schöner Grundlagenartikel, der die wechselseitige Problematik aufzeigt. Solange es wirtschaftlich denkende und handelnde Menschen gibt, werden die nach den günstigsten Beschaffungsformen suchen. Globalisierung gibt es schon seit der Antike. Ägypter, Griechen, Römer, Germanen beschafften sich ihre Güter, dort wir sie verfügbar waren. Das führte auch in der Vergangenheit schon zu gesellschaftlichen Verwerfungen. In vergangenen Jahren wurden sogar Kriege um Ressourcen geführt. Insofern werden wir die Globalisierung nicht verhindern können. Und eine gute Aussicht haben wir: Wenn alles Richtung Osten geht, kommt es ja eines Tages im Westen wieder an, denn die Erde ist eine Kugel. Michael Schulze Heuling
Dr. Ralf Kölbach
am 20. January 2018 um 16:04 Uhr
Wahre Worte, Herr Schulze Heuling. Ohne diesen Freihandel, den es seit Urzeiten gibt, und der den interkulturellen Austausch mit sich brachte,säßen wir alle noch auf den Bäumen.